Wallander 06 - Die fünfte Frau
Holgersson saß während eines großen Teils der langen Wartezeit bei ihnen. Sie fuhr auch zusammen mit Per Åkesson nach Lödinge hinaus. Doch im Gegensatz zu ihrem früheren Chef sagte sie nicht viel. Wallander dachte darüber nach, wie verschieden die beiden waren. Björk hätte die Gelegenheit benutzt, sich über das letzte Rundschreiben der Reichspolizeibehörde zu beklagen. Irgendwie wäre es ihm gelungen, es mit ihrer gegenwärtigen Ermittlung zu verknüpfen. Lisa Holgersson war anders. Wallander ließ es – zerstreut, wie er war – dabei bewenden, daß jeder von beiden auf seine Weise gut war.
Hamrén spielte Schiffeversenken mit sich selbst, Svedberg suchte nach den letzten verbliebenen Haaren auf seiner Glatze, und Ann-Britt Höglund saß mit geschlossenen Augen da. Von Zeit zu Zeit ging Wallander auf den Korridor hinaus und vertrat sich die Beine. Er war entsetzlich müde und fragte sich, ob es etwas zu bedeuten hatte, daß Katarina Taxell nichts mehr von sich hatte |511| hören lassen. Sollten sie trotz allem eine Suchaktion veranlassen? Er konnte sich nicht entscheiden, weil er fürchtete, daß sie die Frau, die sie abgeholt hatte, aufschrecken würden. Er hörte im Besprechungszimmer das Telefon klingeln, lief hin und blieb in der Tür stehen. Svedberg hatte abgenommen. Wallander formte lautlos das Wort »Malmö« mit den Lippen, aber Svedberg schüttelte den Kopf. Es war schon wieder Hansson.
»Eine Rippe diesmal«, sagte Svedberg hinterher. »Muß er wirklich jedesmal anrufen, wenn sie auf einen neuen Knochen stoßen?«
Wallander setzte sich an den Tisch. Wieder ging das Telefon. Wieder griff Svedberg nach dem Hörer. Er hörte kurz hinein, dann reichte er ihn Wallander.
»Jetzt kommt es gleich über Fax«, sagte Karl-Henrik Bergstrand. »Ich glaube, wir haben alles erfaßt, was Sie haben wollten.«
»Dann haben Sie gut gearbeitet«, erwiderte Wallander. »Wenn wir noch eine Erklärung oder Ergänzung brauchen, melde ich mich.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Karl-Henrik Bergstrand. »Ich habe den Eindruck, daß Sie nicht so schnell locker lassen.«
Sie sammelten sich draußen um das Faxgerät. Nach ein paar Minuten kamen die Papiere. Wallander sah sogleich, daß es viel mehr Namen waren, als er sich vorgestellt hatte. Als die Übermittlung zu Ende war, rissen sie die Bögen ab und machten Kopien. Wieder im Sitzungszimmer, studierten sie die Mitteilung unter Schweigen. Wallander zählte zweiunddreißig Namen. Siebzehn der Zugbegleiter waren Frauen. Er kannte keinen der Namen. Die Liste der Arbeitszeiten und die verschiedenen Kombinationen schienen unendlich zu sein. Er mußte lange suchen, bis er die Woche fand, in der Margareta Nystedts Name nicht dabei war. Nicht weniger als elf Zugbegleiterinnen waren in den Tagen bei den Abfahrten im Dienst gewesen, als Katarina Taxell im Speisewagen arbeitete. Er war auch nicht sicher, ob er alle Abkürzungen und Kodes für die verschiedenen Personen und ihre Arbeitszeiten wirklich verstand.
Einen kurzen Augenblick lang fühlte Wallander die Kraftlosigkeit |512| zurückkehren, aber er bezwang sie und klopfte mit einem Bleistift auf den Tisch. »Wir haben hier eine große Anzahl von Personen«, sagte er. »Wenn ich mich nicht ganz irre, so müssen wir uns in erster Linie auf die elf Zugbegleiterinnen und weiblichen Zugchefs konzentrieren. Außerdem haben wir vierzehn Männer. Aber ich möchte, daß wir mit den Frauen anfangen. Kennt einer von euch irgendeinen Namen?«
Sie beugten die Köpfe über die Papiere, aber keiner konnte sich von anderen Teilen der Ermittlung an einen der Namen erinnern. Wallander vermißte Hansson, der das beste Namengedächtnis hatte. Er bat einen der Polizisten aus Malmö, noch eine Kopie zu machen und dafür zu sorgen, daß sie zu Hansson hinausgebracht wurde.
»Dann fangen wir an«, sagte er, als der Kollege aus Malmö den Raum verlassen hatte. »Elf Frauen. Wir müssen sie einzeln durchgehen. Irgendwo finden wir hoffentlich einen Punkt, an dem wir einen Zusammenhang mit unserer Ermittlung erkennen. Wir teilen sie auf. Und wir fangen jetzt an. Das wird ein langer Abend.«
Sie verteilten die Namen und gingen auseinander. Der kurze Augenblick von Kraftlosigkeit, den Wallander gespürt hatte, war vergangen. Er fühlte, daß die Jagd begonnen hatte. Die Zeit des Wartens war endlich vorbei.
Viele Stunden später, als es schon fast elf Uhr war, begann Wallander wieder mutlos zu werden. Sie waren nicht weiter gekommen,
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