Wallander 06 - Die fünfte Frau
»Klar ist sie es.«
Sie überquerten die Straße. Links stand, ohne Licht, der Wagen, in dem Martinsson und Svedberg saßen. Ann-Britt Höglund läutete an der Tür.
Wallander preßte das Ohr an die Tür und hörte es drinnen klingeln. Sie warteten angespannt. Er nickte ihr zu, noch einmal zu läuten. Immer noch nichts. Auch beim drittenmal das gleiche Ergebnis.
»Ob sie schläft?« fragte Ann-Britt Höglund.
»Nein«, sagte Wallander. »Ich glaube, sie ist nicht zu Hause.« Die Tür war verschlossen. Er trat einen Schritt auf die Straße und winkte zum Wagen. Martinsson kam. Er war der Beste, wenn es darum ging, verschlossene Türen zu öffnen, ohne Gewalt anzuwenden. Er hatte eine Taschenlampe und ein Bund mit Dietrichen bei sich. Wallander hielt die Lampe, während Martinsson arbeitete. Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis er das Schloß aufbekam. Er nahm die Taschenlampe und ging zum Wagen zurück, während Wallander sich umblickte. Die Straße war leer. Ann-Britt Höglund und er traten ein, blieben in der Stille stehen und lauschten. Der Flur schien kein Fenster zu haben. Wallander machte Licht. Links lag ein Wohnzimmer mit niedriger Decke, rechts eine Küche. Vor ihnen führte eine schmale Treppe zum Obergeschoß. Sie knarrte unter ihren Füßen. Hier oben waren drei Schlafzimmer, alle waren leer; in der ganzen Wohnung war niemand.
Er versuchte, die Situation einzuschätzen. Es war bald ein Uhr. Konnten sie damit rechnen, daß die Frau, die hier wohnte, in der Nacht zurückkam? Vieles sprach dagegen und eigentlich nichts dafür. Nicht zuletzt der Umstand, daß sie mit Katarina Taxell und ihrem Baby zusammen war. Würde sie nachts mit ihnen herumziehen?
Wallander trat an eine Glastür in einem der Schlafzimmer und sah, daß der Balkon davor dicht an dicht mit Blumentöpfen vollgestellt war. Doch in den Töpfen war nur Erde – keine einzige Pflanze.
|518| Das Bild des Balkons und der leeren Blumentöpfe steigerte seine gedrückte Stimmung. Er verließ schnell den Raum.
Sie kehrten in den Flur zurück.
»Hol Martinsson her«, sagte er. »Und bitte Svedberg, ins Präsidium zurückzufahren. Sie müssen weiter suchen. Ich glaube, daß Yvonne Ander noch eine andere Wohnung hat. Vermutlich ein Haus.«
»Und was ist mit der Wache auf der Straße?«
»Sie kommt heute nacht nicht. Aber natürlich brauchen wir draußen einen Wagen. Sag Svedberg, daß er das regelt.«
Als sie gehen wollte, hielt er sie zurück. Dann blickte er sich um, trat in die Küche und machte die Lampe über der Spüle an. Da standen zwei benutzte Kaffeetassen. Er wickelte sie in ein Handtuch und gab sie ihr.
»Fingerabdrücke«, sagte er. »Gib sie Svedberg mit. Und der soll sie Nyberg geben. Das kann entscheidend sein.«
Er ging wieder die Treppe hinauf, hörte, wie sie die Tür öffnete. Er stand still im Dunkeln. Dann tat er etwas, was ihn selbst überraschte. Er ging ins Badezimmer, nahm ein Handtuch und roch daran. Er nahm den schwachen Duft eines sehr speziellen Parfüms wahr.
Doch der Duft erinnerte ihn plötzlich auch an etwas anderes.
Er versuchte, das Erinnerungsbild einzufangen, die Erinnerung an einen Duft. Er roch noch einmal. Aber er fand es nicht. Obwohl er das Gefühl hatte, ganz nahe daran zu sein.
Er hatte diesen Duft auch irgendwo anders gerochen, bei einer anderen Gelegenheit. Aber er kam nicht darauf, wann oder wo. Aber es war noch nicht lange her.
Er zuckte zusammen, als er hörte, wie die Tür im Untergeschoß geöffnet wurde. Kurz danach tauchten Martinsson und Ann-Britt Höglund auf.
»Jetzt fangen wir an zu suchen«, sagte Wallander. »Wir suchen nicht nur etwas, was den Mordverdacht erhärtet. Wir suchen auch etwas, was darauf hindeutet, daß sie tatsächlich eine zweite Wohnung hat. Ich will wissen, wo.«
»Warum sollte sie eine haben?« fragte Martinsson.
Sie sprachen die ganze Zeit leise, als befinde sich die Person, |519| nach der sie suchten, trotz aller Anzeichen in ihrer Nähe und könne sie hören.
»Katarina Taxell«, sagte Wallander. »Ihr Kind. Außerdem sind wir davon ausgegangen, daß Gösta Runfelt drei Wochen gefangengehalten wurde. Ich vermute stark, daß das nicht hier gewesen ist, mitten in Ystad.«
Martinsson und Ann-Britt Höglund blieben oben. Wallander ging die Treppe hinunter. Er zog die Gardinen im Wohnzimmer zu und machte Licht. Dann stellte er sich in die Mitte des Zimmers und drehte sich langsam im Kreis, während er den Raum betrachtete. Er dachte, daß die Frau, die
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