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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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handeln. Die Wartenden nahmen ihre Koffer auf, der Zug rollte ein. Der Zugbegleiter hatte die Zigarette fortgeworfen.
    Wallander sah ein, daß er keine Wahl hatte, er mußte mit ihm reden. Ihn fragen, ob Yvonne Ander sich bereits im Zug befand. Oder ob ihr Dienstplan sich geändert hatte. Der Zug bremste. Wallander mußte sich durch die Reisenden drängen, die es eilig hatten, aus dem kalten Wind in den Zug zu kommen. Plötzlich entdeckte Wallander einen Mann, der allein ein Stück weiter entfernt auf dem Bahnsteig stand und gerade nach seiner Tasche griff. Unmittelbar neben ihm stand eine Frau in einem langen Mantel, |531| an dem der Wind zerrte. Ein anderer Zug fuhr von der entgegengesetzten Seite ein. Wallander wurde sich nie darüber klar, ob er eigentlich den Zusammenhang verstanden hatte. Aber er reagierte, als sei alles vollkommen klar gewesen. Er stieß die Menschen zur Seite, die im Weg standen. Irgendwo hinter ihm kamen Hansson und Martinsson nach, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich liefen. Wallander sah, daß die Frau plötzlich den Mann von hinten gepackt hatte. Sie schien gewaltige Kräfte zu haben. Sie hob ihn fast vom Boden. Wallander ahnte mehr, als daß er verstand, daß sie den Mann vor den Zug auf dem anderen Gleis werfen wollte. Weil er sie nicht rechtzeitig erreichen würde, rief er. Trotz des donnernden Lärms der Lokomotive mußte sie ihn gehört haben. Ein kurzer Augenblick des Zögerns war genug, sie blickte zu Wallander hin, an dessen Seite in diesem Augenblick Martinsson und Hansson auftauchten. Sie stürmten auf die Frau zu, die jetzt den Mann losgelassen hatte. Ihr langer Mantel hatte sich im Wind geöffnet, und Wallander erkannte darunter ihre Uniform. Plötzlich hob sie die Hand und tat etwas, was sowohl Martinsson als auch Hansson stoppen ließ. Sie riß sich das Haar ab. Es wurde sofort vom Wind erfaßt und wirbelte den Bahnsteig entlang. Unter der Perücke war ihr Haar kurz geschnitten. Sie begannen wieder zu laufen. Tore Grundén schien immer noch nicht begriffen zu haben, was ihm beinahe geschehen wäre.
    »Yvonne Ander«, rief Wallander. »Polizei.«
    Martinsson war jetzt unmittelbar hinter ihr. Wallander sah, wie er den Arm ausstreckte, um sie zu fassen. Dann ging alles sehr schnell. Sie schlug mit ihrer rechten Faust hart und entschlossen zu. Der Schlag traf Martinsson an der rechten Wange. Er fiel ohne einen Laut auf den Bahnsteig. Hinter Wallander rief jemand, ein Reisender hatte entdeckt, was los war. Hansson war wie angewurzelt stehengeblieben, als er sah, was mit Martinsson geschah. Er machte eine Bewegung, um seine Pistole aus der Tasche zu ziehen. Aber es war schon zu spät. Sie hatte Hanssons Jacke gepackt und stieß ihm mit aller Kraft das Knie in den Schritt. Für einen kurzen Augenblick beugte sie sich über ihn, dann lief sie den Bahnsteig entlang. Sie zerrte sich den Mantel vom Körper und warf ihn fort. Er flatterte auf und wurde von einer Windbö davongetragen.
    |532| Wallander blieb bei Martinsson und Hansson stehen. Martinsson war bewußtlos. Hansson stöhnte und war weiß im Gesicht. Als Wallander aufblickte, war sie fort. Er begann den Bahnsteig entlangzulaufen und sah sie ein Stück entfernt über die Gleise verschwinden. Er konnte sie nicht einholen. Außerdem wußte er nicht, was wirklich mit Martinsson war. Er rannte zurück und bemerkte, daß Tore Grundén fort war. Mehrere Eisenbahnbedienstete kamen gelaufen. Keiner begriff natürlich in dem Wirrwarr, was eigentlich passiert war.
     
    Später sollte Wallander an die nächste Stunde als an ein nicht enden wollendes Chaos zurückdenken. Er hatte versucht, viele verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun. Aber keiner hatte verstanden, was er sagte. Außerdem irrten Zugreisende um ihn herum. Mitten in diesem Durcheinander begann Hansson, sich wieder zu erholen. Aber Martinsson war immer noch bewußtlos, Wallander verfluchte den Krankenwagen, der nicht kam, und erst als ein paar verwirrte Hässleholm-Polizisten auf dem Bahnsteig erschienen, gelang es ihm, die Situation einigermaßen zu überblicken. Martinsson hatte sich einen klassischen K. o. eingefangen. Aber sein Atem ging ruhig. Als die Sanitäter ihn forttrugen, war Hansson mit Mühe wieder auf die Beine gekommen und fuhr mit ins Krankenhaus. Wallander erklärte den Polizisten, daß sie im Begriff gewesen waren, eine Zugbegleiterin festzunehmen, die jedoch entkommen war. In diesem Augenblick registrierte Wallander, daß der Zug abgefahren war. Er fragte

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