Wallander 06 - Die fünfte Frau
konnte, war es ein Motiv vom Forum Romanum gewesen.
»Es war eine gelungene Reise«, sagte er. »Für meinen Vater und für mich auch.«
»Ich war noch nie in Rom«, sagte Per Åkesson. »Wie heißt die Redensart doch gleich? Rom sehen und sterben? Oder war es Neapel?«
Wallander schüttelte den Kopf. Er wußte es nicht. »Ich hatte gehofft, es würde ein ruhiger Herbst«, sagte er. »Und dann kommt man zurück und findet einen alten Mann, der in einem Graben aufgespießt worden ist.«
Per Åkesson schnitt eine Grimasse. »Ich habe ein paar von euren Fotos gesehen«, sagte er. »Und Lisa Holgersson hat erzählt. Habt ihr irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Vielleicht«, antwortete Wallander und erzählte in aller Kürze von dem Fund in Erikssons Safe. Er wußte, daß Per Åkesson Respekt hatte vor seiner Fähigkeit, eine polizeiliche Ermittlung zu leiten. Selten war er nicht einverstanden mit Wallanders Schlußfolgerungen oder mit seiner Arbeitsweise.
»Es hört sich natürlich nach reinem Wahnsinn an, wenn ein alter Mann in einem Graben aufgespießt wird«, sagte Per Åkesson. |146| »Aber andrerseits leben wir in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, den Unterschied zwischen Wahnsinn und Normalität zu bestimmen.«
»Wie läuft die Sache mit Uganda?« fragte Wallander.
»Ich nehme an, du meinst mit dem Sudan?« sagte Per Åkesson.
Wallander wußte, daß Per Åkesson sich um einen Dienst beim U N-Flüchtlingskommissariat beworben hatte. Er wollte für einige Zeit fort von Ystad. Etwas anderes sehen, bevor es zu spät war. Per Åkesson war ein paar Jahre älter als er selbst. Er war schon fünfzig.
»Sudan«, sagte Wallander. »Hast du mit deiner Frau gesprochen?« Per Åkesson nickte.
»Ich habe mir vor ein paar Wochen ein Herz gefaßt. Sie war entschieden verständnisvoller, als ich hätte hoffen können. Ich hatte das Gefühl, daß sie mich ganz gern einmal eine Zeitlang nicht zu Hause hätte. Ich warte noch auf Nachricht. Aber es sollte mich sehr wundern, wenn ich die Stelle nicht bekäme. Ich habe ja, wie du weißt, meine Beziehungen.«
Wallander hatte im Lauf der Jahre mitbekommen, daß Per Åkesson eine phänomenale Fähigkeit besaß, sich Unterderhand-Informationen zu beschaffen. Wie er das bewerkstelligte, ahnte Wallander nicht. Aber Åkesson war stets gut informiert, beispielsweise darüber, was in den verschiedenen Reichstagsausschüssen oder in den internsten und geschlossensten Kreisen der Reichspolizeibehörde diskutiert wurde.
»Wenn alles klappt, verschwinde ich zu Neujahr«, sagte er. »Ich bleibe mindestens zwei Jahre weg.«
»Hoffentlich haben wir bis dahin die Sache mit Holger Eriksson aufgeklärt. Hast du irgendwelche Direktiven, die du mir geben willst?«
»Eher solltest du Wünsche äußern, wenn du welche hast.«
Wallander dachte nach. »Noch nicht«, sagte er. »Lisa Holgersson meinte, wir sollten vielleicht Mats Ekholm wieder hinzuziehen. Kannst du dich an ihn erinnern, vom Sommer? Der mit den psychologischen Profilen? Der Verrückte jagt, indem er versucht, sie zu katalogisieren? Ich halte ihn übrigens für sehr fähig.«
Per Åkesson erinnerte sich sehr gut an ihn.
|147| »Ich glaube trotzdem, wir sollten noch warten«, fuhr Wallander fort. »Ich bin nämlich keineswegs sicher, daß wir es mit einem Geistesgestörten zu tun haben.«
»Wenn du meinst, wir sollten noch warten, dann tun wir das«, sagte Per Åkesson und stand auf. Er zeigte entschuldigend auf den Karton. »Ich habe eine reichlich wirre Verhandlung heute, ich muß mich vorbereiten.«
Wallander wandte sich zum Gehen. »Was sollst du im Sudan eigentlich machen?« fragte er. »Brauchen die Flüchtlinge wirklich schwedischen Rechtsbeistand?«
»Flüchtlinge brauchen jeden Beistand, den sie bekommen können«, erwiderte Per Åkesson und begleitete Wallander zum Ausgang.
»Das gilt nicht nur für Schweden.«
»Ich war kurz in Stockholm, als du in Rom warst«, sagte Åkesson plötzlich. »Ich habe zufällig Anette Brolin getroffen. Sie hat mich gebeten, alle hier unten zu grüßen. Aber dich besonders.«
Wallander sah ihn zweifelnd an. Aber er sagte nichts. Vor ein paar Jahren hatte Anette Brolin Per Åkesson eine Zeitlang vertreten. Obwohl sie verheiratet war, hatte Wallander einen Annäherungsversuch unternommen, der nicht besonders gut geendet hatte. Es war eine Geschichte, die er am liebsten vergessen wollte.
Er verließ die Staatsanwaltskanzlei. Draußen wehte ein böiger Wind. Der Himmel war grau.
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