Wallander 06 - Die fünfte Frau
reichte Wallander das aufgeschlagene Album.
»Sehen Sie sich das Bild links unten an«, sagte er. »Es ist leider nicht schön. Aber ich glaube, es wird Sie interessieren.«
Wallander erschrak. Das Bild zeigte tote Soldaten, Farbige. Sie lagen aufgereiht, mit blutigen Gesichtern, abgeschossenen Armen und zerrissenen Brustkörben. Hinter ihnen standen zwei Männer mit Gewehren in den Händen. Weiße. Sie posierten wie auf einem Jagdbild. Die farbigen Soldaten waren die Beute.
Wallander erkannte sofort einen der beiden Weißen. Es war der, der auf dem Foto aus Harald Berggrens Tagebuch ganz links stand. Kein Zweifel. Es war derselbe Mann.
»Er kam mir bekannt vor«, sagte Hanzell. »Aber ich war nicht ganz sicher. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das richtige Album fand.«
|197| »Wer ist das?« fragte Wallander. »Terry O’Banion oder Simon Marchand?«
Er merkte, daß Olof Hanzell mit Verblüffung reagierte.
»Simon Marchand«, antwortete Hanzell. »Ich muß zugeben, daß ich neugierig bin, woher Sie das wissen.«
»Das erkläre ich später. Bitte sagen Sie mir, woher Sie das Bild haben.«
Olof Hanzell setzte sich. »Was wissen Sie über das, was damals im Kongo geschah?« fragte er.
»Nicht viel. Praktisch so gut wie gar nichts.«
»Dann lassen Sie mich den Hintergrund erklären«, sagte Hanzell. »Ich glaube, das ist nötig, damit man versteht.«
»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte Wallander.
»Ich fange 1953 an«, begann Hanzell. »Damals waren vier souveräne afrikanische Staaten Mitglied in den Vereinten Nationen. Sieben Jahre später war diese Zahl auf sechsundzwanzig gestiegen. Der ganze afrikanische Kontinent kochte damals. Die Entkolonialisierung war in ihre dramatischste Phase getreten. Immer neue Staaten erklärten ihre Selbständigkeit. Oft waren die Geburtswehen erheblich. Aber nicht immer so gewaltsam wie im Fall von Belgisch-Kongo. 1959 arbeitete die belgische Regierung einen Plan für den Übergang zur Souveränität aus. Als Datum für die Machtübergabe wurde der 30. Juni 1960 festgesetzt. Je näher der Tag kam, um so heftiger wurden die Unruhen im Lande. Die Stämme verfolgten unterschiedliche politische Ziele, Gewalttaten ereigneten sich jeden Tag. Aber die Selbständigkeit kam, und ein erfahrener Politiker mit Namen Kasavubu wurde Präsident, während Lumumba Premierminister wurde. Den Namen Lumumba haben Sie vermutlich einmal gehört.«
Wallander nickte zögernd.
»Während einiger Tage konnte man glauben, daß es trotz allem einen friedlichen Übergang von einer Kolonie zum selbständigen Staat geben würde. Doch schon nach wenigen Wochen meuterte die Force Publique, die reguläre Armee des Landes, gegen ihre belgischen Offiziere. Belgische Fallschirmtruppen wurden eingesetzt, um ihre eigenen Offiziere zu retten. Das Land versank bald |198| im Chaos. Die Situation wurde für Kasavubu und Lumumba unkontrollierbar. Gleichzeitig proklamierte Katanga – die südlichste Provinz des Landes und aufgrund der Bodenschätze auch die reichste – ihre Loslösung und Unabhängigkeit. Der Führer hieß Moise Tschombe. In dieser Lage baten Kasavubu und Lumumba die Vereinten Nationen um Hilfe. Dag Hammarskjöld, damals Generalsekretär, erreichte es innerhalb kurzer Zeit, daß die Vereinten Nationen intervenierten, unter anderem mit Beteiligung eines Truppenkontingents aus Schweden. Wir sollten lediglich polizeiliche Funktionen wahrnehmen. Die im Kongo verbliebenen Belgier unterstützten Moise Tschombe in Katanga. Mit Geld der großen Bergwerksunternehmen warben sie auch Söldnertruppen an. Und hier kommt das Foto ins Spiel.«
Hanzell machte eine Pause und nahm einen Schluck Kaffee. »Sie haben jetzt einen Eindruck davon, wie gespannt und kompliziert die Situation damals war«, sagte er dann.
»Ich kann mir vorstellen, daß die Situation äußerst verworren war«, antwortete Wallander und wartete ungeduldig auf die Fortsetzung.
»In die Kämpfe in Katanga waren mehrere hundert Söldner verwickelt«, sagte Hanzell. »Sie kamen aus verschiedenen Ländern. Frankreich, Belgien, Algerien. Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es auch immer noch viele Deutsche, die nicht hinnehmen konnten, daß der Krieg geendet hatte, wie es geschehen war. Sie rächten sich an unschuldigen Afrikanern. Aber es gab auch eine Anzahl Skandinavier. Einige von ihnen starben und wurden in Gräbern verscharrt, und niemand weiß, wo sie liegen. Eines Tages kam ein Afrikaner
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