Wallander 06 - Die fünfte Frau
waren es Verbrechen aus Gewinnsucht, auch wenn er nicht verstand, worin der Gewinn liegen konnte?
Er öffnete die Augen und sah eine losgerissene Flaggenleine, die im böigen Wind schlug. Holger Eriksson war in einem sorgfältig vorbereiteten Pfahlgrab aufgespießt worden. Gösta Runfelt war gefangengehalten und dann erwürgt worden.
Es gab zu viele Details, die Wallander beunruhigten. Die demonstrative Grausamkeit. Und warum war Gösta Runfelt gefangengehalten |202| worden, bevor er getötet wurde? Wallander versuchte, sich die grundlegenden Voraussetzungen klarzumachen, von denen sie ausgehen mußten. Der Täter, nach dem sie suchten und den sie zu identifizieren versuchten, mußte sowohl Holger Eriksson als auch Gösta Runfelt gekannt haben. Daran bestand kein Zweifel.
Er war mit Holger Erikssons Gewohnheiten vertraut gewesen. Außerdem mußte er gewußt haben, daß Gösta Runfelt nach Nairobi fliegen wollte. Von diesen Voraussetzungen konnten sie ausgehen. Hinzu kam, daß der Mörder nichts getan hatte, um zu verhindern, daß die Toten gefunden wurden. Es gab sogar Anzeichen für das Gegenteil.
Wallander hielt inne. Warum demonstriert man etwas? Damit jemand bemerkt, was man getan hat. Wollte der Mörder tatsächlich andere Menschen auf sein Verbrechen hinweisen? Und was wollte er zeigen, wenn es sich so verhielt? Daß gerade diese beiden Männer tot waren? Oder wollte er auch, daß klar ersichtlich wurde, wie er vorgegangen war? Daß er auf grausame und ausgeklügelte Weise getötet hatte?
Das war eine Möglichkeit, dachte Wallander mit wachsendem Unbehagen. Dann mußten die Morde an Holger Eriksson und Gösta Runfelt in einen sehr viel größeren Zusammenhang gestellt werden. Dessen Umfang er noch nicht einmal ahnte. Das mußte nicht bedeuten, daß mehr Menschen sterben würden. Aber es bedeutete mit Sicherheit, daß Holger Eriksson, Gösta Runfelt und derjenige, der sie getötet hatte, in einer größeren Gruppe von Menschen zu suchen waren. Einer Art von Gemeinschaft – etwa einer Gruppe Söldner in einem entlegenen afrikanischen Krieg.
Wallander hatte plötzlich Lust zu rauchen. Obwohl es ihm ausgesprochen leicht gefallen war, als er vor einigen Jahren das Zigarettenrauchen aufgegeben hatte, kam es immer wieder vor, daß es ihn danach verlangte. Jetzt war ein solcher Augenblick. Er stieg aus und setzte sich auf die Rückbank. Gewissermaßen um die Perspektive zu wechseln. Er vergaß schnell die Zigaretten und dachte weiter. Was sie vor allem suchen und so schnell wie möglich finden mußten, das war ein Zusammenhang zwischen Holger Eriksson und Gösta Runfelt. Es war möglich, daß dieser Zusammenhang |203| überhaupt nicht ins Auge fiel. Aber irgendwo gab es ihn, davon war er überzeugt. Um dieses verbindende Moment zu finden, mußten sie mehr über die beiden Männer wissen. Äußerlich betrachtet waren sie verschieden. Sehr verschieden. Allein schon das Alter. Sie gehörten nicht derselben Generation an. Der Altersunterschied betrug dreißig Jahre. Holger Eriksson hätte Gösta Runfelts Vater sein können. Aber an irgendeinem Punkt kreuzten sich ihre Spuren. Die Suche nach diesem Punkt mußte von nun an im Zentrum der Ermittlungen stehen. Einen anderen Weg sah Wallander nicht.
Sein Telefon piepte. Es war Ann-Britt Höglund.
»Ist etwas passiert?« fragte er.
»Ich muß zugeben, daß ich aus reiner Neugier anrufe«, antwortete sie.
»Das Gespräch mit Hauptmann Hanzell war ergiebig«, sagte Wallander. »Neben vielem anderen, was er zu berichten wußte und was vielleicht von Bedeutung sein kann, wies er darauf hin, daß Harald Berggren heute sehr gut unter einem anderen Namen leben kann. Söldner haben häufig falsche Namen gewählt, wenn sie Verträge abschlossen oder mündliche Absprachen trafen.«
»Das wird die Suche nach ihm erschweren.«
»Das war auch mein erster Gedanke. Die Nadel im Heuhaufen. Aber es muß nicht so sein. Wie viele Menschen wechseln eigentlich im Laufe ihres Lebens den Namen? Auch wenn es mühsam wird, müßte die Aufgabe lösbar sein.«
»Wo bist du?«
»Am Meer. In Nybrostrand.«
»Was tust du da?«
»Ich sitze hier im Auto und denke nach.«
Er merkte, daß er den Ton verschärfte, als habe er das Bedürfnis, sich zu verteidigen.
»Dann will ich dich nicht länger stören«, sagte sie.
»Du störst nicht«, sagte er. »Ich fahre jetzt zurück nach Ystad. Aber ich will auf dem Weg in Lödinge haltmachen.«
»Ist es etwas Besonderes?«
»Ich muß mein
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