Wallander 09 - Der Feind im Schatten
fuchtelte mit den Armen, als er merkte, dass die Spinne an seinem Anorak hing. Schlangen ertrug er, aber Spinnen nicht. Statt geradewegs durchs Unterholz zu gehen, folgte er dem Ufer und suchte nach einer weniger dicht bewachsenen Stelle. Nach ungefähr fünfzig Metern gelangte er an eine ehemalige Slipanlage. Da er die Insel bisher nur von einem Boot aus gesehen hatte, fiel ihm die Orientierung schwer. Damals hatten sie die Insel auf der anderen, der westlichen Seite passiert. Jetzt hatte er auf der Ostseite angelegt, in der Hoffnung, dass dies die Rückseite der Insel war.
In einer seiner Taschen klingelte das Handy. Er verlor die Taschenlampe, als er nach dem Handy suchte, um den Ton abzustellen. Ein Klingeln nach dem anderen ertönte. Er fluchte leise, während er an seinem Anorak zerrte, um es zu finden. Er zählte sechs Klingeltöne, bevor es ihm endlich gelang, es abzuschalten. Auf dem Display sah er, dass es Linda war. Er stopfte das Handy in die Innentasche und zog den Reißverschluss zu. In seinen Ohren hatte sich das Klingeln wie eine Alarmsirene angehört. Er horchte. Aber es war nichts zu hören oder zu sehen. Das Rauschen des Meeres war allgegenwärtig.
Vorsichtig schlich er weiter, bis er die Konturen des dunklen Hauses sah. Er stellte sich hinter eine Eiche, bemerkte aber kein Licht. Ich habe mich geirrt, dachte er. Hier ist niemand. Meine Schlussfolgerung war ganz einfach falsch.
Dann erkannte er schließlich doch ein schwaches Lichtzwischen der Fensterbank und einer heruntergelassenen Jalousie. Als er näher kam, sah er auch an den anderen Fenstern einen schwachen Lichtschein.
Vorsichtig ging er ums Haus. Es war verdunkelt, als ob Krieg herrschte und kein Licht dem Feind den Weg weisen dürfte. Der Feind bin ich, dachte Wallander.
Er legte das Ohr an die Holzwand und lauschte. Er hörte murmelnde Stimmen, dann und wann mit Musik verwoben. Ein Fernseher oder ein Radio, was von beiden, konnte er nicht unterscheiden.
Er zog sich wieder in den Schatten zurück und versuchte, sich über sein weiteres Vorgehen klarzuwerden. Er hatte nicht über den Punkt hinausgeplant, an dem er sich jetzt befand. Sollte er bis zum Morgen warten, bevor er anklopfte, um zu sehen, wer ihm öffnete?
Er zögerte. Seine Unentschlossenheit ärgerte ihn. Wovor hatte er eigentlich Angst?
Er bekam keine Zeit, die Frage zu beantworten, zumindest nicht im Augenblick. Er fühlte eine Hand auf der Schulter und fuhr herum. Auch wenn es der Grund dafür gewesen war, dass er sich auf diese Reise begeben hatte, war er verwundert, Håkan von Enke hier im Dunkeln stehen zu sehen. Er trug Jeans und eine Trainingsjacke, hatte lange Haare und war unrasiert.
Sie standen sich stumm gegenüber und sahen sich an, Wallander mit seiner Taschenlampe in der Hand, Håkan von Enke barfuß auf der feuchten Erde.
»Ich nehme an, du hast das Handy klingeln hören«, sagte Wallander.
Håkan von Enke schüttelte den Kopf. Er wirkte nicht nur furchtsam, sondern auch traurig. »Ich habe eine Alarmanlage um das Haus installiert. In den letzten zehn Minuten habe ich versucht zu verstehen, wer auf die Insel gekommen ist.«
»Das war nur ich«, sagte Wallander.
»Ja«, sagte Håkan von Enke. »Das warst nur du.«
Dann gingen sie ins Haus. Erst dort im Licht entdeckte Wallander, dass auch Håkan von Enke eine Waffe trug, eine Pistole, die im Hosenbund steckte. Damals, in Djursholm, trug er die Waffe unter seinem Jackett.
Wen fürchtet er, dachte Wallander. Vor wem versteckt er sich?
Das Rauschen vom Meer her war nicht mehr zu hören. Wallander betrachtete den Mann, der so lange verschwunden gewesen war.
Lange saßen sie schweigend da. Dann begannen sie vorsichtig zu sprechen. Langsam, als näherten sie sich einander mit äußerster Wachsamkeit.
TEIL 4
Das Trugbild
31
Es wurde eine lange Nacht. Während des Gesprächs mit dem so lange Verschwundenen dachte Wallander, dass dies eine Fortsetzung des Gesprächs war, das sie in jener Nacht vor fast sechs Monaten in einem Festlokal in der Nähe von Stockholm geführt hatten. Was er jetzt zu begreifen begann, versetzte ihn in Erstaunen, erklärte jedoch, warum Håkan von Enke damals so beunruhigt gewesen war.
Wallander fühlte sich keineswegs wie Stanley, der seinen Livingstone gefunden hatte. Er hatte eine richtige Vermutung angestellt, das war alles. Seine Intuition hatte ihm den richtigen Weg gewiesen. Falls es von Enke wunderte, dass sein Versteck entdeckt worden war, so ließ er es
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