Wallander 09 - Der Feind im Schatten
sein Schleppnetz zu flicken. Er war sparsam und wollte nie etwas wegwerfen. Aber die Geschichte hat noch eine Fortsetzung.«
Eskil Lundberg zog den Kalender zu sich und blätterte einige Tage weiter, bis zum siebenundzwanzigsten September. Er zeigte Wallander die aufgeschlagene Seite. Sie suchen . Zwei Wörter, nicht mehr.
»Er hatte den Zylinder fast vergessen, als eines Tages genauan der Stelle, wo er ihn gefunden hatte, Marineschiffe auftauchten. Er fischte häufig an derselben Stelle östlich von Gotland. Ihm war sogleich klar, dass es kein gewöhnliches Manöver war. Die Schiffe verhielten sich sonderbar. Sie lagen still oder bewegten sich langsam, in immer engeren Kreisen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um zu verstehen, was vor sich ging.«
Eskil Lundberg klappte den Kalender zu und sah Wallander an. »Sie suchten nach etwas, was sie verloren hatten. Nicht mehr und nicht weniger. Aber mein Alter dachte überhaupt nicht daran, den Stahlzylinder zurückzugeben. Sein Netz war zerstört worden. Er fischte ruhig weiter und tat, als gingen sie ihn nichts an.«
»Und was geschah weiter?«
»Die Marine hatte den ganzen Herbst Schiffe und Taucher da draußen, bis in den Dezember. Dann verschwanden die letzten. Es begannen Gerüchte umzugehen, dass ein U-Boot gesunken sei. Aber da, wo sie suchten, war es nicht tief genug für ein U-Boot. Das Militär bekam seinen Zylinder nie zurück, und mein Vater erfuhr nie, was es war. Aber es war ihm eine Genugtuung, sich für den zerstörten Anleger zu rächen. Dass er Kontakt mit einem Marineoffizier gehabt haben soll, kann ich mir nicht vorstellen.«
Sie schwiegen. Der Hund kratzte sich. Wallander versuchte zu verstehen, wie Håkan von Enke an dem, was er gerade gehört hatte, beteiligt sein konnte.
»Ich glaube, er ist noch da«, sagte Lundberg.
Wallander glaubte, nicht richtig gehört zu haben, aber Eskil Lundberg war schon vom Tisch aufgestanden. »Der Zylinder«, sagte er. »Ich glaube, er liegt draußen im Schuppen.«
Sie verließen das Haus, der Hund lief schnüffelnd vor ihnen her. Es hatte aufgefrischt. Anna Lundberg hängte Wäsche auf eine Leine, die zwischen zwei alten Kirschbäumen gespannt war. Weiße Kopfkissenbezüge knatterten imWind. Hinter dem Bootshaus stand ein Schuppen, er hielt ein heikles Gleichgewicht auf den unebenen Felsen. An der Decke leuchtete eine einzige Glühlampe. Wallander trat in einen Raum voller Gerüche ein. An einer Wand hing eine altertümliche Aalgabel. Eskil Lundberg stand gebeugt in einer Ecke des Schuppens, wo Tauknäuel, zerbrochene Pützen, alte Korkschwimmer und kaputte Netze lagen, und wühlte darin herum. Er riss und zerrte in dem Durcheinander, als ob er die Wut seines Vaters über die Rücksichtslosigkeit der Kriegsschiffe teilte. Schließlich richtete er sich auf, trat einen Schritt zur Seite und zeigte auf einen länglichen Gegenstand aus grauem Stahl, wie eine große Zigarrenhülse, mit einem Durchmesser von vielleicht zwanzig Zentimetern. Am einen Ende des Zylinders war eine teilweise geöffnete Klappe, im Inneren sah man ein Gewirr von Kabeln und Verbindungsrelais.
»Wir können das Ding nach draußen bringen«, sagte Lundberg. »Wenn Sie mit anfassen.«
Sie trugen den Zylinder zum Anlegesteg hinunter. Der Hund war sogleich zur Stelle und schnüffelte. Wallander versuchte sich vorzustellen, was für eine Funktion der Zylinder haben mochte. Dass es sich um ein Teil eines Motors handelte, bezweifelte er. Möglicherweise etwas, was mit Radar oder vielleicht Zündanordnungen für Torpedos oder Minen zu tun hatte.
Wallander ging in die Hocke und suchte nach einer Seriennummer oder einem Herstellungsort, fand aber nichts. Der Hund beschnüffelte sein Gesicht, bis Lundberg ihn wegscheuchte.
»Was glauben Sie, was es ist?«, fragte Wallander, als er sich aufrichtete.
»Ich weiß nicht. Genauso wenig, wie mein Vater es jemals verstanden hat. Das gefiel ihm nicht. Darin sind er und ich uns gleich. Wir wollen Antworten auf unsere Fragen.«
Eskil Lundberg verstummte einen Moment, bis er fortfuhr. »Ichbrauche ihn nicht. Aber vielleicht kann er Ihnen nutzen?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Wallander begriff, dass er den Stahlzylinder meinte, der vor ihren Füßen lag. »Ich nehme ihn gern«, entgegnete er und dachte, dass Sten Nordlander ihm vielleicht erklären konnte, wozu der Zylinder gebraucht worden war.
Sie legten ihn ins Boot, und Wallander machte die Leinen los. Lundberg schwenkte nach Osten und nahm
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