Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Fehlschluß.
Aber gleichzeitig war er überzeugt. Der Mann, der dort am Tisch saß und Patiencen legte, hatte vor kurzem drei Menschen getötet. Brutal hingerichtet.
Als Wallander sich gerade von der Hauswand zurückziehen wollte, begann der Hund zu bellen. Rolf Nyman zuckte zusammen. Er sah direkt in Wallanders Richtung. Einen Augenblick lang dachte Wallander, er sei entdeckt. Dann stand der Mann eilig auf und ging zur Haustür. Da war Wallander schon auf dem Weg zurück in den Wald. Wenn er den Hund losläßt, habe ich schlechte Karten, dachte er. Er leuchtete auf den Boden und stolperte vorwärts. Er knickte um und spürte, wie ein Zweig seine Wange aufritzte. Im Hintergrund hörte er noch immer den Hund bellen.
Als er beim Auto ankam, hatte er die Taschenlampe verloren, war aber nicht stehengeblieben, um sie aufzuheben. Er drehte den Zündschlüssel herum und fragte sich, was passiert wäre, wenn er noch sein altes Auto gehabt hätte. So konnte er problemlos den Rückwärtsgang einlegen und davonfahren. Auf der Hauptstraße näherte sich ein Lastzug. Wenn es ihm gelänge, sein Motorengeräusch mit dem des Lastwagens zusammenfallen zu lassen, würde er davonkommen, ohne daß Rolf Nyman ihn hörte. Er wendete leise und fuhr vorsichtig im dritten Gang an. Als er an die Hauptstraße kam, sah er die Rücklichter des Fernlasters. Da es bergab ging, nahm er den Gang heraus und rollte. Im Rückspiegel war nichts zu sehen. Niemand folgte ihm. Wallander strich sich über die Wange, fühlte Blut und suchte nach seinem Toilettenpapier. Eine kurze Unaufmerksamkeit hätte ihn beinahe in den Graben fahren lassen. In letzter Sekunde gelang es ihm, den Wagen wieder auf die Fahrbahn zu lenken.
Als er in der Mariagata ankam, war es schon nach Mitternacht. Der Zweig hatte einen tiefen Riß auf seiner Wange hinterlassen. Wallander überlegte einen Augenblick, ob er ins Krankenhaus fahren sollte. Aber er begnügte sich damit, die Wunde zu säubern und ein großes Pflaster aufzukleben. Dann kochte er einen starken |407| Kaffee, setzte sich an den Küchentisch und zog einen seiner halb vollgeschriebenen Notizblöcke heran. Er überdachte noch einmal das Dreieck seiner Pyramide und tauschte das Fragezeichen in der Mitte gegen Rolf Nyman aus. Von Anfang an wußte er, daß die Beweise sehr dünn waren. Das einzige, was er eigentlich gegen Nyman vorbringen konnte, war der Verdacht, daß er die Scheinwerfer gestohlen hatte, die dann verwendet wurden, um dem Flugzeug zu signalisieren, wo es seine Ladung abwerfen sollte.
Aber was hatte er sonst? Nichts. Welche Beziehung bestand zwischen Holm und Nyman? Wo kamen das Flugzeug und die Schwestern Eberhardsson ins Bild? Wallander schob den Notizblock zur Seite. Es bedurfte gründlicher Ermittlungen, um weiterzukommen. Außerdem fragte er sich, wie er seine Kollegen davon überzeugen sollte, daß er trotz allem die Spur gefunden hatte, auf die sie sich konzentrieren mußten. Wie weit würde er damit kommen, wieder einmal auf seine Intuition zu verweisen? Rydberg würde Verständnis haben, vielleicht auch Martinsson. Aber Svedberg und Hansson würden sie nicht ernst nehmen.
Es war zwei Uhr, als er das Licht löschte und ins Bett ging. Seine Wange schmerzte.
Am nächsten Tag, dem 3. Januar, war es kalt und klar in Schonen. Wallander stand früh auf, wechselte das Pflaster auf seiner Wange und war schon um kurz vor sieben im Polizeipräsidium. An diesem Morgen war er sogar noch vor Martinsson da. An der Anmeldung erfuhr er von einem schweren Verkehrsunfall, der sich vor einer Stunde in der Nähe von Ystad ereignet hatte; es gab mehrere Tote, unter anderem ein kleines Kind, was unter den Kollegen immer eine besonders gedrückte Stimmung verbreitete. Wallander ging in sein Zimmer und war dankbar, daß er bei Verkehrsunfällen nicht mehr ausrücken mußte. Er holte Kaffee und dachte über die Geschehnisse des Vorabends nach.
Aber der Zweifel des vergangenen Tages war immer noch da. Die Spur Rolf Nyman konnte sich als Holzweg erweisen. Dennoch gab es genügend Verdachtsmomente, um Nyman gründlich zu überprüfen. Wallander beschloß auch, daß sie das Haus diskret überwachen lassen sollten, nicht zuletzt, um zu erfahren, wann Nyman wegging. Eigentlich war das die Aufgabe der Polizei in |408| Sjöbo. Aber Wallander hatte schon den Entschluß gefaßt, sie nur auf dem laufenden zu halten. Was die Arbeit anging, würde die Polizei in Ystad darauf bestehen, sie selbst auszuführen.
Sie mußten in
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