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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sehen.«
    »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
    Phaidra überlegte kurz, dann fuhr sie fort: »Vielleicht mußtest du den Gott sehen, weil du einfach nicht verstehen konntest, was in dem Garten geschah. Wenn du keine Erklärung für das ganze Töten und die Zerstörung gefunden hättest, wärst du verrückt geworden oder gestorben. Schon damals während der Pest, als du noch ein kleiner Junge warst, brauchte deine Seele irgendeine Möglichkeit, dich zu ermutigen, weil sie dich nur so davor bewahren konnte, aufzugeben und dich mit dem Tod abzufinden. Deshalb brachte sie dich dazu, Dionysos zu sehen, und in Sizilien war es genau dasselbe. Wenn du wirklich überleben wolltest, als alle anderen um dich herum starben, konntest du gar nicht anders, als den Gott zu sehen. Natürlich mußtest du etwas anderes sein – etwas Besonderes sogar. Es mußte einen triftigen Grund geben, warum der Gott ausgerechnet dich und nicht jemand anderen auserwählt hatte. Als du ein kleiner Junge warst, war dieser Grund die Gewißheit, als erwachsener Mann ein großer Dichter zu werden. Das war damals für Dionysos schon Grund genug, dir das Leben zu retten, während alle anderen starben. In Sizilien hast du es dann noch einmal versucht; nur warst du zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Dichter, zumindest so groß, wie du es dir wahrscheinlich selbst in deinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hättest, und deshalb klappte es diesmal nicht so gut. Es reichte zwar noch aus, um dich aus dem ummauerten Obstgarten zu bringen, hielt aber nicht lange genug an, um dich quer durch halb Sizilien zu schleppen. Und dann tauchte Aristophanes auf, und dein einfallsreicher athenischer Verstand sagte dir: Natürlich, das ist es! Der Grund meines Überlebens ist die Aufgabe, mich um den Sohn des Philippos zu kümmern.«
    »Das hört sich sehr gescheit an, fast wie bei Sokrates«, sagte ich. »Aber das erklärt noch lange nicht, warum ich ihn auch damals im Theater gesehen habe, nachdem mein Stück durchgefallen war. Zu jener Zeit befand ich mich nämlich überhaupt nicht in Gefahr.«
    »Das hast du dir damals nur eingebildet. Du bist völlig überdreht gewesen, dann die Hitze, außerdem hast du die Nacht davor kaum geschlafen.«
    »Na gut. Aber wie konnte der Gott sein eigenes Wiedererscheinen vorhersagen? Wie konnte ich als kleiner Junge schon geahnt haben, daß eines Tages ein Theaterstück von mir durchfallen und ich mich als Erwachsener in einem ummauerten Obstgarten wiederfinden würde?«
    Phaidra zuckte die Achseln und antwortete: »Ganz einfach. Geistige Korrektur. Du hast deine eigene Erinnerung umgeschrieben. Was vorher dort war, hast du gestrichen und durch etwas anderes ersetzt, so wie es die Beamten tun, wenn sie bei den Flottenabrechnungen betrügen.«
    »Verhungern wirst du jedenfalls nicht. Du könntest der erste weibliche Philosoph werden.«
    »Und ich hatte schon befürchtet, du wärst zu dumm, um mich zu verstehen«, konterte sie geschickt. »Aber egal, so ist es nun einmal.« Dann legte sie mir die Hände auf die Schultern und küßte mich.
    »Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach tun?« fragte ich.
    Phaidra dachte kurz darüber nach und antwortete dann: »Meiner Meinung nach sollten wir ins Bett gehen. Ich weiß zwar nicht, wie es um dich bestellt ist, aber ich bin todmüde – Entschuldigung, das war wirklich taktlos von mir –, hundemüde sollte ich wohl lieber sagen.«
    »Ich meinte, wie wir uns jetzt in bezug auf die Geschichte mit Demeas verhalten sollen.«
    »An deiner Stelle würde ich die witzigste Rede schreiben, die ich jemals in meinem Leben geschrieben habe, um mich damit vor Gericht zu verteidigen. Das ist die einzige Hoffnung, die du noch hast.« Plötzlich umschlang sie mich mit den Armen, drückte sich fest an mich und raubte mir fast den Atem (Phaidra war nämlich eine sehr kräftige Frau, obwohl man ihr das nicht ansah). »Eupolis, du alter Narr. Ich will nicht, daß man dich tötet.«
    Dann brach sie in Tränen aus, und mir brach es fast das Herz, und ich versuchte, sie zu trösten. »Phaidra, mach dir keine Sorgen, es wird schon alles nicht so schlimm werden. Dein Vater wird sich bestimmt um dich und den Jungen kümmern, das weiß ich genau. Er hat keinen männlichen Erben, also wird Eutychides versorgt sein. Und es ist noch sehr viel Zeit, um genug Geld beiseite zu schaffen. Weißt du, längere Verfahren dauern heutzutage…«
    »Ach, du bist einfach schrecklich, Eupolis!« schluchzte sie. »Du wirst

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