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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Wichtig ist einzig und allein, daß der Angeklagte seines Verbrechens wirklich für schuldig befunden wird und daß es sich dabei um eine Anklage handelt, bei der am Schluß ein Urteil herausspringt. In Athen wird die Todesstrafe gewöhnlich durch das Reichen des Schierlingsbechers vollstreckt.
    Folglich bleibt einem nur eine Alternative: die Flucht. Für eine angeklagte Person ist es erschreckend einfach, aus Athen zu fliehen. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein völlig sinnloses, sondern um ein bewußt gewähltes Prinzip, da auf diese Weise die Schuld des Flüchtigen bewiesen wird, ohne die kostbare Zeit der Geschworenen in Anspruch nehmen zu müssen, so daß sich diese wichtigeren Aufgaben widmen können, wie dem Verurteilen von Unschuldigen. Zudem hat das den enormen Vorteil, daß der Gerichtsvollzieher schneller zur Tat schreiten kann, um das Eigentum des Flüchtigen einzuziehen; heutzutage gibt es bei den Menschen eine beklagenswerte Tendenz, ihre Verfahren in die Länge zu ziehen, damit ihre Verwandten genug Zeit haben, den Großteil des Vermögens sicher über die Grenze zu schaffen.
    Wenn ich wollte, konnte ich also fliehen. Aber wohin sollte ich? Ich wäre mit der schrecklichen Aussicht konfrontiert gewesen, mir in Orten wie Megara oder Boiotia oder sonstwo den Lebensunterhalt zu verdienen. Für sämtliche Alkibiadesse dieser Welt mag es völlig in Ordnung sein, auf ein Schiff zu springen und zu fliehen; sie können sich unter den großen Städten und königlichen Palästen ihr Lieblingsziel sogar aussuchen, da diese allesamt darum wetteifern, einem gut informierten und willfährigen Verräter Schutz und Geld bis ans Lebensende zu gewähren. Ein Niemand wie Sie oder ich muß aus seiner Stadt fliehen und jede Arbeit annehmen, die sich ihm bietet; und wenn er keine besondere Begabung hat oder kein spezielles Handwerk beherrscht, bedeutet das zumeist etwas Unangenehmes, das wahrscheinlich mit dem Hüten von Schweinen oder dem Ernten von landwirtschaftlichen Produkten zusammenhängt. Wir Athener sind in ganz Griechenland nicht sonderlich beliebt, und es fällt uns schwer, Arbeit zu finden. Meine einzige Begabung ist das Schreiben von Stücken, und der Markt, für den ich produziere, beschränkt sich auf eine einzige Stadt. Ansonsten könnte ich mich schon glücklich schätzen, mich als Saisonarbeiter verdingen zu dürfen, um Oliven oder Weintrauben zu pflücken, und das entspricht nicht unbedingt meiner Vorstellung vom Leben. Die Dinge haben sich verändert, und ich weiß, daß ich etwas altmodisch bin, aber ich glaube immer noch (und damals dachten alle so), daß ein Mensch, dessen Lebensunterhalt vom Wohlwollen eines anderen Menschen abhängt und ob man ihn als Sklaven, Arbeiter oder als sonstwas bezeichnet, in Wirklichkeit nichts anderes als ein Sklave bleibt, der Befehle entgegennimmt und nur das tun darf, was man ihm sagt. Ein Mensch ohne Land ist ein Mensch ohne Freiheit, und ohne Freiheit gibt es keinen Grund zu leben. Selbst als ich in Sizilien auf der Flucht war, blieb ich weitestgehend im Besitz meiner persönlichen Freiheit; auch wenn das alles war, was ich damals besaß.
    Folglich hatte ich nicht vor zu fliehen, und da ich bleiben wollte, würde ich Aristophanes denunzieren oder sterben müssen. Deshalb bat ich mein Gewissen um einen freundlichen kleinen Ratschlag, aber meine gewöhnlich so wortgewandte innere Stimme tat einfach so, als würde sie mich nicht hören, und ich war auf mich allein gestellt. Nachdem ich lange darüber nachgedacht hatte, wußte ich, was ich tun mußte, und es schien auch recht vernünftig zu sein.
    Es mußte einen Grund geben, weshalb sich Dionysos ausgerechnet mich unter allen Menschen herausgesucht hatte, um mich sowohl die Pest als auch den Krieg überleben zu lassen. Ich kannte den Grund: nämlich um den Sohn des Philippos bis an mein Lebensende zu schützen. Und jetzt hatte der Gott alles so geregelt, daß ich sterben sollte, um Aristophanes das Leben zu retten. Immerhin erklärte das, weshalb ich die Pest und den Krieg überlebt hatte, und in einer ansonsten unlogischen Welt neigt man dazu, sich an jedwede Erklärung zu klammern, die man finden kann. In diesem Zusammenhang werde ich mich jetzt ein wenig über den gescheiten Zeitgenossen Euripides auslassen. Im großen und ganzen verabscheue ich sein Werk, das dreist, modern und nur schlau ist, um die eigene Schlauheit herauszukehren. Dennoch gibt es eine Szene von ihm, die mir zugegebenermaßen gefällt.
    Sie

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