Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
als du aussiehst. Ist dir eigentlich nicht klar, daß du in dieser Angelegenheit der einzige bist, der ihn und die anderen belasten kann?«
»Das ist doch merkwürdig. Die Leute wären nur von einer Denunziation abzuhalten, wenn sie glauben würden, ich könnte es ihnen nicht mit gleicher Münze heimzahlen.«
Phaidra schüttelte betrübt den Kopf. »Anscheinend denkst du nicht nach. Aristophanes wird dich denunzieren. Und bildest du dir allen Ernstes ein, daß man dir dann glauben wird, wenn du mit dem Finger auf den Hauptbelastungszeugen zeigst und sagst: ›Nicht ich bin’s gewesen, sondern der da war’s?‹ Anders könntest du es den Geschworenen dann nicht mehr sagen, und niemand würde dir glauben.«
»Das stimmt allerdings. Es steht nicht gut um uns, nicht wahr?«
»Aber warum tust du Idiot nicht einfach das, was Demeas von dir verlangt? Geh doch einfach zu ihm, und zwar auf der Stelle, und sag ihm, du seist bereit auszusagen. Oder stehst du etwa unter Aristophanes'Bann? Hat er dich gar verzaubert?«
»So etwas in der Richtung. Ich habe dem Gott versprochen, mich um ihn zu kümmern.«
»Was hast du da eben gesagt?«
»Ich habe gesagt, ich habe vor dem Gott ein Gelübde abgelegt, und zwar vor Dionysos. Was glaubst denn du, warum ich Aristophanes’ wertlosen Körper sonst quer durch halb Sizilien geschleppt hätte? Nur um meiner Pflicht als Komödiendichter Genüge zu tun?«
»Handelt es sich dabei etwa um irgend so einen männlichen Eid, von wegen ›Freunde fürs Leben‹ oder so einen ähnlichen dummen Quatsch? Ich habe von solch lächerlichen Dingen schon gehört.«
»Nein, nein. Ich habe es dem Gott wirklich versprochen, und zwar höchstpersönlich. Er hat mir in Sizilien das Leben gerettet, damit ich mich um Aristophanes’ Unversehrtheit kümmere.«
»Bist du betrunken?«
»Du meine Güte, Phaidra! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Also gut, paß auf.« Und dann erzählte ich ihr von Dionysos; wie ich ihn damals während der Pest im Stall zum erstenmal erblickt hatte und dann noch einmal nach der Aufführung des Heerführers und zuletzt im Garten hinter der Mauer.
»Ich wußte doch, daß du betrunken bist«, sagte Phaidra, als ich mit meiner Schilderung fertig war.
»Du dumme Gans! Ich sage die Wahrheit!«
»Und jetzt hörst du mir mal zu«, zischte Phaidra mich an, wobei sie sich vorbeugte und mit beiden Händen meinen Chiton ergriff. »Mir könnte es scheißegal sein, ob man dich tötet oder nicht, aber ich werde meinen Sohn nicht großziehen, damit er als Ruderer endet, und genausowenig habe ich Lust, auf dem Markt Gemüse zu verkaufen, nur weil mein Mann und Aristophanes womöglich irgendeinen lächerlichen Eid in Sizilien geleistet haben. Also reiß dich endlich zusammen, und benimm dich wenigstens dieses eine Mal wie ein erwachsener Mensch!«
»Phaidra, laß es mich dir bitte noch einmal in aller Ruhe erklären…«
»Ach, du bist doch zu nichts zu gebrauchen! Du hast es verdient, getötet zu werden.« Sie ließ mich los, stürmte in den Innenraum und verriegelte die Tür hinter sich.
»Phaidra!« rief ich hinter ihr her.
»Später!« schrie sie durch die geschlossene Tür zurück. »Wenn du wieder nüchtern bist.«
Ich setzte mich neben das Feuer und bemühte mich angestrengt, mir etwas einfallen zu lassen, doch waren meine Wahlmöglichkeiten begrenzt, und deshalb versuchte ich, mich in die Rolle von Aristophanes zu versetzen. Es war so gut wie sicher, daß er einen ähnlichen Besuch von Demeas erhalten würde, falls ich nicht gleich morgen früh an Demeas’ Haustür klopfen und mich mit Nachdruck als Zeuge zur Verfügung stellen sollte. Aber wäre Aristophanes allein durch die Tatsache zu verunsichern, daß ich tatsächlich ein Augenzeuge gewesen war und deshalb womöglich eine überzeugendere Darstellung der nächtlichen Ereignisse geben könnte? Vermutlich nicht, und zwar aus den von Phaidra genannten Gründen. Zumal er selbst daran beteiligt gewesen war, könnte er aus der Erinnerung heraus eine wenigstens ebenso gute mündliche Darstellung geben, und wenn er als Ankläger auftreten sollte und ich der Angeklagte wäre, würden die athenischen Bürger bestimmt ihm glauben. Es gibt eine Theorie, nach der wir in Athen viele verschiedene Gesetze haben, wobei jedes einzelne für eine ganz bestimmte Straftat zuständig ist. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Wann immer ein Mensch vor Gericht steht, hört niemand mehr zu, sobald die eigentliche Anklage vorgetragen wird.
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