Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
hatte er.«
»Du erinnerst dich doch bestimmt, daß er sich zwar nicht mehr bewegen und auch nicht mehr sprechen konnte, seine Augen aber noch genauso wie vorher waren, nicht wahr? Und seine Frau ließ ihn immer von den Sklaven auf seinem Stuhl vor die Haustür tragen und dort absetzen, damit er die Vorbeigehenden beobachten konnte.«
»Und alle blickten immer in die andere Richtung«, fügte ich hinzu, »weil ihm keiner in die Augen sehen konnte, ohne zu schaudern. Ich erinnere mich. Ist der nicht früher ein Athlet oder irgend so etwas gewesen?«
»Kann sein«, erwiderte Phaidra, biß das Garn entzwei und legte die Handarbeit beiseite. »Jedenfalls ist das genau der Mann, an den du mich in den letzten Wochen erinnert hast.«
Diesen Vorwurf fand ich überhaupt nicht lustig. »Du sagst wirklich die unverschämtesten Dinge und grinst dabei noch«, beschwerte ich mich. »Wirklich reizend, mich mit einem Krüppel zu vergleichen!«
»Na, ist doch wahr«, verteidigte sie sich. »Ich glaube, du wärst wunschlos glücklich, wenn du nur vor der Tür sitzen und die Leute beim Einkaufen beobachten könntest.«
Diese Vorstellung erschreckte mich, weil sie vermutlich der Wahrheit entsprach. »Habe ich mich wirklich so schlimm verhalten?« erkundigte ich mich vorsichtig.
»Ja«, antwortete Phaidra, »oder noch schlimmer. Du hast sogar so dagesessen, obwohl keine Kauflustigen vorbeigekommen sind. Worüber denkst du bloß nach, um Himmels willen? Entwickelst du geometrische Theorien oder zählst du nur Vögel?«
»Ich denke über gar nichts nach«, erwiderte ich. »Nur hin und wieder fällt mir ein, wie froh ich bin, am Leben zu sein.«
»Das ist aber komisch«, hielt Phaidra mir entgegen, »denn du benimmst dich genau wie eine Leiche, und zwar wie eine recht sanftmütige.«
»Sollten Frauen nicht lieber dankbar sein, wenn ihre Ehemänner untätig sind?« gab ich zu bedenken. »Du hast es doch nie gemocht, wenn ich alles immer im Eiltempo erledigt habe.«
»Und dann dieser ganze Unsinn, den du in letzter Zeit über unsere Beziehung von dir gibst«, fuhr Phaidra fort. »Was ist das überhaupt für ein Gesprächsthema für einen Mann und seine Frau? Du klingst wie ein Philosoph, der mit seinem jungen Freund spricht.«
»Ich wollte bloß Klarheit in unsere Beziehung bringen«, verteidigte ich mich.
»Klar ist von Natur aus alles, solange man sich nicht daran zu schaffen macht«, entgegnete sie. »Du solltest einfach weiterleben, anstatt ewig darüber nachzudenken.«
»Welch gewichtige Bemerkung!« seufzte ich und lächelte sie spöttisch an.
Phaidra runzelte mißbilligend die Stirn. »Du weißt ganz genau, was ich meine. Fang jetzt bloß nicht an, dich wie ein Chor aufzuführen und zu allem, was ich tue, einen Kommentar abzulassen, als wäre ich Klytaimnestra oder sonstwer. Wie ich längst gemerkt habe, machst du so etwas nämlich oft.«
»Was mache ich oft?«
»Leute beobachten«, antwortete Phaidra. »Du siehst und hörst den Leuten zu, als wärst du ein Kampfrichter auf einem Basar. Aber deine Beurteilung will niemand hören, vielen Dank.«
»Ich weiß, aber ich kann nichts dafür, ich tue das instinktiv«, räumte ich ein.
»Was du wirklich nötig hast, ist irgendeine Beschäftigung«, sagte Phaidra, während sie aufstand und ihr Nähzeug einsammelte. »Sonst verwandelst du dich noch in einen Gott oder einen Steinbrocken oder sonstwas.«
»Das mußt du mir erklären«, bat ich.
»Nun ja, manchmal bist du eben wie ein Gott auf einem Berg oder ein Felsblock oder ein Baum. Du sitzt oder stehst einfach nur da und guckst in die Gegend, als wäre die Welt ein Theaterstück, das einzig und allein deinetwegen aufgeführt wird. Als du noch Komödien geschrieben hast, war das mehr oder weniger zu entschuldigen, weil du aus dem Ganzen so etwas wie einen Nutzen gezogen hast. Du mußtest für deine Anapäste die Sprechweise und das Verhalten der Menschen einfangen und eine Art Beurteilung vornehmen. Aber mittlerweile tust du das offenbar zur eigenen Unterhaltung, und das ist nicht normal. Entweder reißt du dich endlich zusammen, oder du fängst wieder an zu schreiben.«
»Du bist auch ganz schön komisch«, entgegnete ich. »Ich weiß nie genau, ob du es gut findest, daß ich schreibe, oder nicht. Du scheinst dich nie dafür zu interessieren, während ich etwas verfasse. Bei dir hat man immer den Eindruck einer nachsichtigen Ehefrau, die ihrem Mann gestattet, seiner kindischen Freizeitbeschäftigung nachzugehen – als
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