Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
würde ich Seemuscheln oder aus Elfenbein geschnitzte Schiffsmodelle sammeln!«
Phaidra zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich halte dich nicht für besonders schlau, nur weil du selbstverfaßte Zeilen ins richtige Versmaß setzen kannst, falls du das meinst. Und eine begeisterte Komödienanhängerin wie einige andere Leute bin ich auch nicht; persönlich ziehe ich Tragödien vor. Literarisch bin ich auch nicht besonders gebildet, wenn du es genau wissen willst; eigentlich geht das den meisten Frauen so. Aber ich nehme an, du schreibst wenigstens genauso gut wie alle anderen«, fügte sie anständigerweise hinzu, »und wahrscheinlich sogar besser als die meisten. Und irgend etwas mußt du ja tun, also kannst du ruhig schreiben.«
Ich setzte mich auf und legte die Hände um die Knie. »Du meinst also, ich sollte ein Stück schreiben?«
»Ja, und wenn schon nicht um meinetwillen, dann wenigstens dir selbst zuliebe. Außerdem werden die Leute dann nicht mehr auf der Straße mit dem Finger auf mich zeigen und sagen: ›Da geht eine Frau, die mit einer Leiche verheiratet ist.‹ Viel länger kann ich dieses gottähnliche Gehabe nämlich nicht ertragen. Als du aus dem Krieg zurückgekehrt bist und dein Prozeß lief, war das ganz anders; da hatte dein Leben einen Sinn, und ich habe dich richtig gemocht. Aber jetzt…«
»Na schön, ich habe schon verstanden. Du kannst es nicht ertragen, mich friedlich dasitzen zu sehen, und möchtest, daß ich mich beschäftige.«
»Nur weil es in deiner Natur liegt, dich zu beschäftigen, Eupolis. Im Augenblick scheinst du gar nicht wirklich zu leben, und das ist für die Nerven einer Frau zuviel. Ich weiß nie, wann du damit anfängst, durch Wände zu gehen oder dich langsam in Luft aufzulösen wie ein Traum in einem Gedicht.«
Am nächsten Tag holte ich also den Pflug heraus und zog ihn über das Brachland, und anstatt bis zum Ende der Furche zu pflügen und dann aufzuhören, wie ich es bei meinem letzten Versuch getan hatte, machte ich sofort weiter und leistete den ganzen Tag über ein schönes Stück Arbeit, ohne es zu merken. Als ich nach Hause kam, hatte ich eine fertig ausgearbeitete Eröffnungsrede im Kopf, die zugleich die beste war, die ich je geschrieben hatte. Was mir immer Kopfzerbrechen bereitet, ist die Frage, ob meine gegenwärtige Arbeit genauso gut ist wie die frühere. Das ist bei mir eine echte Zwangsvorstellung und endet damit, daß ich das vorher Geschriebene hasse, weil ich es anscheinend nicht noch einmal so gut hinbekommen kann. Doch diesmal wußte ich, daß es gut war. Die Verse schienen vor Frische zu knistern, und anstatt eine Zeile mit dem üblichen Reimgeklingel zu beenden, hatte ich nach besten Kräften versucht, etwas Neues und Überraschendes zu finden, so wie man es macht, wenn man gerade mit dem Schreiben von Theaterstücken anfängt und einem jedes einzelne Wort wichtig ist.
Soll ich Ihnen alles über das Stück erzählen? Bisher bin ich sehr anständig gewesen und habe Sie nicht mit kurzen Zusammenfassungen meiner verschiedenen hervorragenden Komödien gelangweilt, deshalb glaube ich, ich werde mir wenigstens dieses eine Mal den Genuß gönnen. Die Handlung sah folgendermaßen aus: Der athenische Staat befindet sich in einer schweren Krise, weil er nicht imstande war, sich etwas Neues auszudenken, seit er eine Flotte zur Eroberung des Mondes ausgesandt hat. Dieses geistige Unvermögen ist dermaßen quälend, daß sich unser Held berufen fühlt, wie Odysseus in die Unterwelt hinabzusteigen, um die ruhmreichen Toten nach ihrer Meinung zu fragen.
Als er am Ziel seiner Reise ist, trifft er als ersten den berühmten Myronides, den Heerführer, der Athen bei Tanagra zum Sieg führte, und zwar in der Schlacht, von der ich Ihnen bereits erzählt habe und durch die der vorhergehende Krieg mit Sparta zur Zeit meines Großvaters beendet wurde. Für Myronides hatte ich mich entschieden, weil er – zumindest für meine Generation – den letzten aufrechten Bürger und den letzten fähigen Heerführer der alten Schule verkörperte. Im Grunde war er genauso ein Gauner wie alle anderen vor und nach ihm, aber die absolute historische Wahrheit kümmerte mich in diesem Zusammenhang nicht. Das ist bei allen Athenern so, sonst könnten wir Marathon nicht als Sieg feiern. Jedenfalls fungiert Myronides als Führer unseres Helden und zeigt ihm alle großen Staatsmänner unserer Geschichte, vom unsterblichen Solon bis zu Perikles, die ihm samt und
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