Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Erklärungen so aufgelegt war. Er wußte stets auf alles eine Antwort.
Da ich niemanden mehr hatte, mit dem ich reden konnte, kauerte ich mich hinter meinem Schild zusammen und versuchte eine Zeitlang an nichts zu denken. Und erneut hörte ich diesen verdammten Wiedehopf – der Vogel hatte offenbar vor gar nichts Angst. Vielleicht bat er uns auch nur in dieser für Tiere so typischen, entschiedenen Art, endlich hier zu verschwinden und ihn in Ruhe zu lassen. Wir hatten früher eine Katze, die einen immer anjaulte, sobald man einen Raum betrat, in dem sie gerade war, so als hätte man kein Recht, sich dort aufzuhalten. Diese Katze trieb mich manchmal bis zur Weißglut. Aber wenn ich den Wiedehopf hörte, wie kam es dann, daß ich nicht den Pfeil gehört hatte, von dem Kallikrates getötet worden war? Das war mal wieder ganz typisch für mich; die wichtigen Ereignisse, den Augenblick, wenn man die heilige Flamme entzündet oder bei den Frauenspielen den Speer so weit wie noch nie wirft, verpasse ich immer. Im Morgengrauen bin ich aufgestanden, bin den mühseligen Weg in die Stadt gegangen und habe stundenlang Schlange gestanden, um einen Platz zu ergattern, und wenn dann der große Augenblick kommt, blicke ich gerade in die andere Richtung oder öffne meine Weinamphore oder so etwas, und das erste, was ich vom Ereignis mitbekomme, ist der laute Aufschrei der Menge.
Ich erinnere mich nicht, wie lange ich danach noch im Obstgarten war. Zwar war mein Verstand zu jenem Zeitpunkt offenbar ungewöhnlich scharf und klar, aber es gab kein Thema, worüber ich hätte nachdenken können. Dann wandte sich mir der Mann auf meiner anderen Seite zu und blickte mich an, und ich erkannte sein Gesicht.
»Hallo, Eupolis«, begrüßte er mich, und ich hatte das Gefühl, als stünde meine ganze Haut in Flammen. »Ich habe dir ja gesagt, daß ich dich hier treffen werde.«
»Das stimmt«, antwortete ich. »Das hatte ich schon ganz vergessen.«
»Na ja, du hast damals andere Dinge im Kopf gehabt«, sagte der Gott Dionysos und lächelte. »Also, dies ist vermutlich unsere letzte Begegnung. Ich nehme an, du freust dich, mich zu sehen.«
»Ich weiß nicht recht«, erwiderte ich. »Das hier ist also der Garten hinter der Mauer, richtig? Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder darüber nachgedacht.«
»Und? Hast du ihn dir so vorgestellt?« fragte der Gott. Wieder schien seine Stimme von überall um mich herum zu kommen. Sie hallte in der bronzenen Schale meines Helms nach, und ich nahm kaum meine eigenen Gedanken wahr.
»Nein«, gestand ich ein. »Aber du hattest ihn mir ja auch nicht richtig beschrieben, stimmt’s? Du hast einfach ›der Garten hinter der Mauer‹ gesagt und es dabei belassen. Seitdem bin ich in vielen anderen ummauerten Obstgärten gewesen, in Attika und anderswo. Ich besitze sogar selbst einen auf meinem Grundstück in Phyle.«
»Hier liegt der Garten hinter der Mauer, in dem der alte Chor tanzend von der Bühne abgeht und der neue auftritt«, erklärte der Gott. »Es ist eine schöne Komödie, die ich dir zu inszenieren gegeben habe, obwohl dein Chor« – er machte mit dem rechten Arm eine ausladende Geste – »ganz so aussieht, als wolle er nicht mehr tanzen. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß er die Bühne verläßt. Vermutlich haben die Chormitglieder zwar ihr Bestes gegeben, aber sie haben die Worte des von ihnen gesprochenen Textes nicht verstanden. Was kann man mit solch einem Chor anfangen?«
Trotz der Anwesenheit des Gottes wurde ich ein wenig wütend. »Sie haben so gut getanzt, wie sie es vermochten«, erwiderte ich. »Vielleicht ist der Dichter der eigentlich Schuldige, weil er ihnen so schwierige Zeilen gegeben hat. Wenn schon der Chor den Text nicht verstehen kann, was sollen dann erst die Zuschauer davon halten?«
Dionysos lachte, und ich dachte, mir zerspränge der Kopf. Sein Lachen fuhr über die Baumwipfel wie Donner und hallte in den Bergen über unseren Köpfen wider. »Wie dem auch sei, du mußt folgendes tun: Ich möchte nicht, daß mein bester Dichter hier in Sizilien umgebracht wird, deshalb wirst du gleich über diese Mauer springen und um dein Leben rennen. Catina liegt dort drüben.« Er deutete in die entsprechende Richtung. »Such den Fischhändler Perikleidas auf. Er wohnt in einem großen Haus gleich neben meinem Heiligtum beim kleinen Tor und wird sich um dich kümmern. Ich glaube fast, wir sehen uns eines Tages doch noch mal wieder, Eupolis, Sohn des Euchoros von Pallene.
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