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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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mich darstellen sollte, und er gab alle möglichen gesellschaftsfeindlichen Sprüche von sich, und alle lachten. Das war wirklich eine furchtbare Schande, besonders für meine Frau.«
    Das erklärte auch sein Interesse an Aristophanes, denn dieses Stück war von ihm. Trotzdem handelte es sich bei der von Demeas erwähnten Stelle um keine sehr gelungene Szene.
    »Aber das war noch nicht mal alles«, fuhr Demeas fort, wobei er jetzt noch betrübter dreinblickte als zuvor. »Im darauffolgenden Jahr habe ich ein Stück gesehen, ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wie es hieß oder wer es geschrieben hat, in dem in einer Chorzeile behauptet wurde, ich sei nicht besser als ein Bandwurm oder eine ähnliche Schmarotzerkreatur, und daß die Stadt, wenn sie knapp bei Kasse sei, mich bloß wie eine Olive in eine Presse stecken müßte, um die ganzen Bestechungsgelder und das Blutgeld aus mir herauszuquetschen. Darüber hinaus wurden sogar Anspielungen auf meine häuslichen Verhältnisse gemacht, was ich als besonders geschmacklos empfand.«
    Das wiederum erklärte sein Interesse an mir. »Ich weiß wirklich nicht, was in diese Leute gefahren ist«, tröstete ich ihn scheinheilig.
    »Na ja, da sieht man’s mal wieder«, schluchzte er, wobei er mittlerweile buchstäblich in Tränen aufgelöst war. »Für einen billigen Lacher und einen satten Applaus scheuen manche Leute einfach vor nichts zurück und werfen einem die bösartigsten – ich sollte sagen, gefährlichsten – Anschuldigungen an den Kopf. Dabei scheren sie sich nicht im geringsten darum, ob sie damit den Ruf oder sogar das Leben ihrer Mitmenschen aufs Spiel setzen. Wenn du mich fragst, halte ich das für höchst unverantwortlich. Schließlich sind einige Leute sogar schon schwerwiegender Verbrechen bezichtigt worden, nur weil durch das Theater die öffentliche Meinung gegen sie vergiftet wurde. Meiner Meinung nach haben die dafür verantwortlichen Männer eine Menge Fragen zu beantworten.«
    »Da hast du allerdings recht«, stimmte ich ihm erneut zu.
    »Meinst du?«
    »Sicher.«
    »Das ist tröstlich zu wissen«, seufzte Demeas und machte sich bereit zum Gehen. »Nun, ich will dir nicht noch mehr von deiner kostbaren Zeit stehlen. Falls du dich doch noch an etwas erinnern solltest, dann…«
    »… dann sage ich es dir ganz bestimmt.«
    »Weißt du, wo ich wohne?«
    »Sicher.«
    »Schön, dann gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Nun glaube ich zwar nicht, daß sie noch heute so bekannt sind wie einst, aber es gab eine Zeit, da rannten die Athener in Scharen zu diesen Pilosophielehrern, Männern wie Sokrates oder Gorgias von Leontini, die ihnen kurze Vorträge hielten; allein das Zuhören kostete drei Obolen und die aktive Teilnahme an der darauffolgenden Diskussion gleich eine ganze Drachme oder etwas in dieser Richtung. Normalerweise brachte man irgendeinen moralischen Konflikt zur Sprache, und dann mußten alle sagen, wie sie sich unter den jeweiligen Umständen verhalten hätten. Danach pflegte der Lehrmeister, über jeden Zweifel erhaben, zu beweisen, daß alle Anwesenden so schlecht wie die Göttin Hekate höchstpersönlich seien, woraufhin ein jeder glücklich und zufrieden nach Hause ging und seinen Freunden stolz davon berichtete. Ich bin auch einmal zu einer solchen Veranstaltung gegangen – soweit ich mich erinnern kann, wettete damals jemand mit mir, daß ich es nie und nimmer schaffen würde, nicht einzuschlafen –, und das Thema lautete, ob es gerecht sei, einen schlechten Menschen, der eines Verbrechens angeklagt wurde, das er nicht begangen hatte, zum Tode zu verurteilen, um auf diese Weise einen guten Menschen, der das besagte Verbrechen tatsächlich begangen hatte, unbehelligt davonkommen zu lassen. Ich erinnere mich zwar nicht daran, welche Schlußfolgerung Sokrates oder wer immer dieser Lehrer gewesen sein mag, letztendlich gezogen hat (ein Phänomen an diesen Vorträgen ist die Tatsache, daß sich anscheinend nie jemand daran erinnert), aber damals nahm ich den allgemeinen Eindruck mit nach Hause, daß ich mich – falls ich jemals in eine solch mißliche Lage geraten sollte – nach Lust und Laune verhalten könnte, da sich praktisch jede Vorgehensweise als vollkommen falsch erweisen würde.
    Während ich über diesen Vortrag nachdachte, schloß ich die Tür und verriegelte sie, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß ich um drei Obolen betrogen worden war, da ich mich jetzt in einer fast identischen Situation befand und nicht die

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