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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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Handschuh in die Tiefe des Tunnels gezogen.
    Die Wände
waren in gewisser Weise fließend wie eine gläserne Oberfläche, die unerwartet
schmilzt. Don fragte sich, warum er es nicht schon früher entdeckt hatte.
    Neben ihm
machte Moyano einen weiteren Schritt vor und balancierte jetzt schwankend
direkt am Rande des Abgrunds. Auf Don wirkte die Gestalt vor dem Schlund
irgendwie bedrohlich. Er wich zurück, um sich dem Halt suchenden Griff des
Südamerikaners zu entziehen.
    Moyano hob
seinen Stiefel zum letzten Schritt ins Leere an. Die Arme, die er seitlich
seines langen Oberkörpers ausgestreckt hielt, bewegten sich flatternd im böigen
Wind.
    Doch genau
in dem Moment, als er zu kippen drohte, schlug sich der Südamerikaner mit der
Hand an eine Stelle seitlich am Hals. Erst sah es aus, als hätte er ein Insekt
totgeschlagen, doch dann spritzte Blut zwischen seinen Fingern hindurch. Es
schoss regelrecht in Kaskaden heraus, und ein roter Schauer ergoss sich über
das Eis und den Schnee. Für eine Sekunde gelang es Moyano, sich aufrecht zu
halten, dann sackten seine Beine an der Tunnelmündung zusammen, und er fiel um.
     
    Don drehte
sich in der Dunkelheit um, das Gesicht gegen den Wind gerichtet. Es war nahezu
unmöglich, bei dem starken Schneefall die Augen offen zu halten, und das, was
er erkennen konnte, ergab irgendwie keinen Sinn.
    War dort
draußen Eis gewissermaßen zu Leben erwacht? Es bewegte
sich auf ihn zu wie eine wogende weißgraue Welle. Ganze Schneequader kamen auf
ihn zugerollt und erhoben sich wie Gespenster über ihm. Sie stürzten in
flatternden weißgrauen Camouflageanzügen auf ihn zu.
    Mehr
konnte Don nicht erkennen, ehe er plötzlich bäuchlings auf das Eis geworfen wurde.
Jemand presste sich mit vollem Gewicht auf ihn, und er spürte, wie sich sein
Mund langsam mit Schnee füllte. Ein Ellenbogen an seinem Nacken ließ den
letzten Rest Sauerstoff aus seinen Lungen entweichen. Mit einer verzweifelten
Bewegung gelang es ihm, sich minimal zu drehen, um kurz durchzuatmen.
    Während
Don keuchend dalag und dachte, schlimmer könne es nicht mehr kommen, sah er
zwei mit Spikes überzogene Rollstuhlräder langsam auf sich zurollen.
    »Don
Titelman«, rief eine ihm wohlbekannte Stimme oberhalb der Räder. »Ich muss
schon sagen, Sie werden langsam zu einer Plage.«
    Dann
verringerte sich der Druck des Ellenbogens, und Don konnte sich auf den Rücken
rollen und blinzelnd nach oben schauen. Durch den Schneefall hindurch sah er
Vaters Gesicht, das zur Hälfte mit Brandwunden versehen war.
    »Sie
hatten es ja beim letzten Mal ziemlich eilig, uns in Wewelsburg zu verlassen.
Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir zwei uns noch einmal
wiedersehen würden.«
    Das eine
Auge war ohne Blick, das andere wach und scharfsichtig.
    »Helfen
Sie ihm auf die Beine«, befahl Vater.
    Don
spürte, wie seine Arme ergriffen wurden, und die Soldaten ihn auf die Füße
stellten. Als er versuchte, sich loszureißen, glitten seine Dr. Martens-Stiefel
im Schnee weg. An Vaters Seite stand Eberlein in Camouflageuniform und mit
entspiegelter Brille. Hinter ihm näherte sich die Kröte wankenden Schrittes.
    »So kurz
vorm Ziel, und dennoch haben Sie nichts zu sehen bekommen«, bedauerte Vater.
»Elena?«
    Einer der
Soldaten löste sich aus der Reihe: eine kleingewachsene Gestalt, die sich Don
mit geschmeidigen Bewegungen näherte. Als sie ihre Kapuze abnahm, sah Don die
schwarz geschminkten Augen der jungen Frau, die er aus dem Nordturm der
Wewelsburg wiedererkannte.
    »Ja,
Vater?«, antwortete Elena.
    »Wir
nehmen Titelman mit uns hinunter«, entschied Vater. »Es wird ein angemessenes
Ende für ihn werden.«
    Don sah,
wie einer seiner Arme in Handschellen gelegt wurde.
    »Und du
wirst da unten die Verantwortung für ihn übernehmen, Elena«, fügte Vater hinzu.
    Sie
streckte ihr Handgelenk vor. Vater ergriff es und schloss sie mit Don zusammen.
     
    Mit seinem
schmalen langen Rücken über die Lehne des Elektrorollstuhls hinausragend,
rollte Vater bis zur Kante vor. Er schaute hinunter in die blauschimmernde
Öffnung. Dann befahl er: »Von jetzt an kein Wort mehr.«
    Elena
setzte ihren Stiefel an die Innenwand des Tunnels und bedeutete Don, es ebenso
zu tun. Als sie den Fuß belastete, hörte man ein saugendes Geräusch, und der
Absatz klebte unmittelbar fest.
    Es sah
aus, als hätte eine unsichtbare Hand nach ihr gegriffen, die nun versuchte, sie
hinunterzuziehen. Die grünen Augen blickten zu ihm

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