Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
Vom Netzwerk:
gelandet, und die Metallkette zwischen den beiden Handschellen
rasselte, als sie ihn näher heranzog. Er wusste nicht, warum, aber irgendetwas
ließ ihn nach ihrer Hand greifen, die den einzigen warmen Bezugspunkt auf ihrem
Landeplatz bildete.
    Vor ihnen
verlief ein Gang in Form eines gotischen Kirchengewölbes durch die
Dunstschleier. Seine Wände strahlten dasselbe blauviolette Licht ab wie der
Tunnel, doch sie wölbten sich in einer völlig anderen Form. Don erschienen sie
wie aus einem dünnen Stoff, der sich im Wind bewegte. Doch das konnte nicht
sein, denn hier in der feuchten unwirtlichen Tiefe regte sich überhaupt kein
Lufthauch.
    Hinter ihm
versammelten sich die Soldaten mit ihren weiß gefärbten Maschinengewehren und
Nachtsichtgeräten. Eberlein hatte sich zu Vaters Ohr hinuntergebeugt, um sich
leise miteinander zu unterhalten. Der Elektrorollstuhl war so weit in den Staub
eingesunken, dass seine Räder nicht mehr zu sehen waren. Als Elena sich durch
den Dunst auf die Wand des Gewölbeganges zubewegte, wurde Don mittels der
Handschellen ebenfalls vorwärts gezogen.
    Seine Dr.
Martens-Stiefel pflügten sich durch die Staubschicht, und er hatte
Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, während er weiterstolperte. Als
er näher an die gewölbte Wand herankam, sah Don, dass sie aus einem
eigentümlichen fließenden Material bestand. Im Gegensatz zur glasartigen Wand
des Tunnels bestand der Gang aus herabrieselndem Staub. Diese sich zu beiden
Seiten ergießende Kaskade schien das Einzige zu sein, das sich zwischen ihm und
dem Gewicht der wuchtigen Steinmassen befand.
    Zögernd
streckte Don die Finger aus, um sie abzutasten, woraufhin sein Ellenbogen ohne
jeglichen Widerstand in der Wand einsank. Hinter dieser Wand schien sich
nichts weiter zu befinden außer einer Wolke aus Staubkörnern und Schuppen, die
langsam auf seine Hand hinabrieselten.
    Als er so
dastand und auf all die Sterne im Licht der blauviolett funkelnden Kaskade
schaute, fragte er sich, was er eigentlich über die in den Mythen beschriebene
Hölle wusste, die angeblich kalt sein sollte.
    Die beiden
altnordischen Worte »Nifl« und »Heim« standen buchstäblich für die »in Nebel
gehüllte Welt«. Ein Ort, an dem es ständig dämmerte, ohne dass es je Nacht
wurde. Den isländischen Sagas zufolge herrschte hier eine bittere Kälte, die
mit giftigen Dämpfen und Gasen angereichert war. Die Inuits nahmen an, dass sie
sich weit unter dem Arktischen Ozean an einem Ort befinden würden, den sie
»Adlivun« nannten. Es war Hades, das griechische Schattenreich, und seine
eigene Großmutter hätte gesagt ...
    »Sheol«, murmelte
Don. »Geyen in Sheol.«
     
    Für Elena
hingegen war das, was sie sah, als sie die rieselnde Wand berührte, keine
Hölle. Seit sie von der Kante aus in die Tiefe gestürzt war, hatte die
flüsternde Stimme der Mutter ihr Trost zugesprochen.
    Und als
sie jetzt so dastand, wurde sie von dem Impuls ergriffen, einen Schritt
vorzugehen und geradewegs in den fallenden Staub hineinzuwandern. Weit entfernt
hinter den Lichtpunkten meinte sie die Konturen von Gesichtern zu erkennen, die
sie mit ihren Blicken aufforderten, näher zu kommen.
    Sie sah
Münder, die sich bewegten: Sie formten Worte, die sie nicht hören konnte. Es
war, als forderten sie etwas von ihr, etwas, das nur sie ihnen geben konnte.
    Elena
streckte die Hand aus, und im Regen der Millionen von blauvioletten Staubkörnern
erschien sie ihr merkwürdig durchsichtig. Unter ihrer Haut wölbte sich eine
rotgoldene Aura, in der Muskeln und Sehnen wie selbstleuchtende Fasern
verliefen. Sie nahm eine Handvoll Staub und zog sie vorsichtig wieder zurück.
    In ihrer
Hand war der Staub anfänglich leblos wie ein nichtssagendes grauschwarzes
Pulver. Doch dann begannen die Funken zu erwachen, und ihr Gesicht wurde nach
und nach erleuchtet.
    Elena
dachte an die Wewelsburg und den Staub, den die Stiftung in versiegelten
Glaskapseln in Sicherheit hatte bringen können. Das Material, das ihr zur
Verfügung gestanden hatte, um die Visionen von den äußeren Fundamenten der
Physik und Chemie zu entwickeln. Jetzt sprachen die Funken wieder zu ihr und
wiesen ihr die Molekülgitter und Muster atomarer Verbindungen. Doch sie hatte
nicht länger vor, Skizzen vom Grundriss der Welt zu vermitteln.
    Stattdessen
hielt sie den Staub hoch, so dass Don ihn sehen konnte, und zeigte ihm seine
hübsch leuchtende Oberfläche. Doch der Schwede wirkte eher verängstigt - seine
Augen hatten sich hinter

Weitere Kostenlose Bücher