Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
Vom Netzwerk:
Der Gott schien gnädig lächelnd die Huldigungen hinzunehmen; manchmal schien es, als würfe er durch den Weihrauchschleier einen freundlichen Blick auf den Monarchen. Der scharf aromatische Geruch der Weihrauchmischung, die gellend betäubende Musik, die feierlichen Priester, von denen einige Federn auf dem Haupte trugen, die halbnackten Priesterinnen, die steinerne Ruhe des Gottes und das magische Licht, welches von oben durch die Säulen sickerte, die Szene in ein rätselhaftes Düster hüllend, dies alles wirkte auf Menes eigentümlich berauschend.
    »Heil dir, Osiris, Hochheiliger, Ewigstrahlender,« sangen die Priester, sich verbeugend, ihre Instrumente schwingend, »siehe gnädig auf den Sohn der Sonne; er naht demütig vor deiner Lichtheit. Hat er dir nicht wohlriechende Hölzer gegeben? Dir nicht verbrannt köstliches Rauchwerk? Hat er dir nicht dargebracht Miriaden Rinder im Lande deiner Heiligtümer? Ließ er dir nicht herbeibringen das dauernde Gestein für deine Tempel? Ja, du hast ihn umgürtet mit Gnade; deine Lichtheit umschwebte ihn im Kampf; seine Feinde warfen sich in den Strom, wie Krokodile in den Nil; er stürzte unter sie, gleich wie der Sperber niederstößt, gleich dem Gotte Baal im Momente seines Schreckens!«
    So brauste es feierlich durch die Hallen, bald wie knatternder Donner, wenn die Trompeten sich mit den Trommeln mischten, bald sanft hinsterbend, wie der Nachtwind, der den Papyrusstauden von den Geheimnissen der alten Pyramiden erzählt, oder von den Schrecken des glühenden Sandmeeres, wenn die Saiten der Harfe schwollen, hinüber in das Geflüster der Flöten. Menes stand hinten einer Säule, von wo aus er das Ganze übersehen konnte. Jetzt trat der König näher, um auf den Altar eine Goldschale voll Wein zu gießen. In diesem Augenblick hörte unser Freund neben sich ein Geräusch, wie das Schwirren einer Sehne, wenn sie gespannt wird; er drehte sich um – dicht neben ihm zu seiner Rechten kniete ein Bogenschütze am Boden, der eben im Begriffe war, einen Pfeil auf die Sehne zu legen. Was hatte ein Bogenschütze in solcher Stellung hier zu verrichten? Wollte er schießen? Und welches war sein Ziel? Der erstaunte Menes sah wie eine beringte Hand, die hinter einer Säule hervorkam, dem Knienden auf die Schulter tippte; ein leises: »Warte noch!« schlug an sein Ohr. Unserem Freund erregten die beiden Personen Verdacht; er beobachtete sie mit gespannter Aufmerksamkeit; das Blut strömte ihm vom Kopf nach dem Herzen zurück; krampfhaft preßte er seinen zitternden Leib an die Säule. Der Schütze neigte sich nun vor, setzte das Knie auf den Boden und zielte mit erhobenem, straffem Bogen nach dem König hinüber, der soeben, während alle niedersanken, den goldenen Wein aus der Schale langsam über den Marmor des Altars träufeln ließ. Nun erst wurde unserem Freunde klar, um was es sich hier handelte! Königsmord –! Eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich seiner, die ihn fast gänzlich um den Gebrauch seiner Kräfte brachte. War er nach Theben gekommen, um ein solches Schauspiel mit anzusehen? Sein reines Herz konnte es noch nicht fassen, das Unerhörte; auf den König schießen, hieß ihm auf einen Gott schießen. Was sollte er tun? Sollte er rufen? Er rief ein lautes »Halt!« In diesem betäubenden Stimmgemisch verlor es sich wie ein Tropfen im Meer. Die Gefahr wuchs; er zürnte seiner Tatlosigkeit; schon sank die Pfeilspitze drohend nieder; ohne zu wissen, was er tat, wie im Traume schritt er auf den Altar zu, dabei unaufhörlich mit den Armen abwehrende Bewegungen machend. Seine Beklommenheit ward vermehrt, als er zu bemerken glaubte, daß der links vom Altar stehende Oberpriester mit dem mörderischen Schützen Blicke wechselte; der Priester winkte mit dem Auge; Menes stürzte, die Arme hoch erhoben, auf den Altar zu, aber er hatte ihn noch nicht erreicht, als aus der Papyrusrolle, die er im Arm trug, mit ziemlicher Heftigkeit ein Pfeil zu Ramses' Füßen niederklirrte. Dem König entsank die Schale; ein Gemisch von Hilferufen, Wutgeschrei, abgebrochenen Akkorden des Gesanges erfüllte mit einemmal die Halle. Einige umringten den König, andere zogen die Waffen; Menes deutete nach der Stelle, woher der Schuß gekommen, hob den Pfeil vom Boden auf und überreichte ihn dem erblaßten König. Das Vorgefallene verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter der Menge. »Mord! Königsmord!« brauste es von einem Winkel des Saales bis zum anderen; die kahlköpfigen Priester

Weitere Kostenlose Bücher