Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
strömte heute über; es schien ihm eine Art schmerzliche Wollust zu bereiten, in all seinen Wunden zu wühlen und sein fließendes Herzblut vor den Augen eines Mitfühlenden hinströmen zu lassen. Er schritt hastig im Gemache auf und nieder, während Menes ihm nachsah, feuchten Auges, tief ergriffen. Wenn die Maler Könige auf den Tempelwänden oder in den Grabkammern abbilden, geben sie ihrem Gesichtsausdruck eine heitere Hoheit, eine stolze Befriedigung – o! wie sehr, sprach Menes zu sich selbst, lügen ihre schönen Farben. Unter dem Baldachin baut die Sorge ihr Nest; der Glanz der Krone zieht den unheimlichen Nachtfalter, das Unglück! an, und er umschwärmt die leuchtende mit schwarzem Flügelschlag. Ich sehe ein, daß ich mich nicht getäuscht habe, wenn ich mir den Schmerz als unzertrennlichen Gefährten der Majestät dachte.
»Nein! nein!« seufzte der Gewaltige vor sich nieder, »wem dürfen wir vertrauen? Ich kann nicht mehr an Liebe, Treue oder Tugend glauben. Selbst, wenn die Göttin der Wahrheit vor mich hinträte und mich von dem Dasein dieser edeln Eigenschaften überzeugen wollte, ich würde sie Lügnerin schelten. Liebe, Treue, Tugend, das sind Namen für Dinge, die nicht sind. Vor dem Sonnenlicht der Majestät schmilzt auch der festeste Charakter in Brei zusammen. Ich habe es erlebt. Erst gestern. Ich hörte von einem Juden, der auf die Fürsten schlecht zu sprechen war. Er ward mir als ein starker, harter Charakter gepriesen. Ich ließ ihn vor mich kommen. Er setzte mir scharfsinnig auseinander, warum die Fürsten auf Erden zum mindesten unnötig seien. Ich freute mich über seinen Freimut, wollte ihn aber trotzdem auf die Probe stellen. Er war arm; ich gab ihm eine einträgliche Stelle an den Kanalbauten. Da war es mit seinem Fürstenhaß vorbei – jetzt küßt er mir die Füße und fragt mich jeden Morgen besorgt: wie ich geruht habe!«
»Und was wünschtest du,« frug Menes, »was er hätte tun sollen?«
»Was? Die Stelle ausschlagen! Mich hassen hätte er sollen; dann würde ich vielleicht auch ihn gehaßt haben, aber ich hätte ihn nicht zu verachten brauchen. Es tut mir leid um den Mann!« –
»Und dann unsere Einsamkeit,« fuhr der König fort.
»Nur der Einsiedler in seiner Zelle mag Ähnliches fühlen. Wir haben weder Väter noch Mütter, noch Brüder oder Töchter, oder Söhne. Die Macht ist eine schlechte Entschädigung für einsame Jahre, Zerstreuungen ersetzen nicht wahre Freuden. Ich kann Tausende dem Tode geben, aber ich kann mir keinen einzigen zur Liebe zwingen, trotz aller meiner Macht! O ihr Götter! nehmt mir die Krone vom Haupt, sie brennt mir bis ins Gehirn hinab.«
Menes stand auf und küßte seines Königs Hand mit einem solchen Ausdruck von innigem Mitleid, vermischt mit der edelsten Hingabe, daß Ramses ihn gerührt umarmte.
»Du vertraust mir – verzeihe, daß ich es sage – du vertraust mir zu rasch, o Herr!« sagte Menes. »Du hast mich bis jetzt noch nicht genug geprüft, um mit Bestimmtheit behaupten zu können, daß ich alle die guten Eigenschaften besitze, die mir dein Edelmut wohl andichtet. Auch ich bin ein irrender, fehlender Mensch und der Dienst, den ich dir geleistet, ist dir keine Bürgschaft für meine Tugend.«
»Was bezweckt deine Rede?« fiel Ramses, ernste werdend, ein, »willst du mich abschütteln wie einen lästigen Bettler? Weisest du meine Freundschaft zurück? Soll ich vor dir stehen als ein mächtiger Armer?«
»Wie kannst du also sprechen, Herr,« entgegnete der Jüngling, »ich halte es für meine Pflicht, dich zu warnen, ehe du dich mir völlig hingibst.«
Der König legte seine Stirne sinnend in Falten. Dann erwiderte er langsam:
»Es ist wahr, ich bin zu leidenschaftlich in meinen Ergüssen, ich folge augenblicklich dem, was mir das Herz vorschreibt; du tust recht daran, mir dies ins Gedächtnis zurückzurufen, denn manchen Schaden hat mir mein rasches Vertrauen gebracht.«
Hierauf legte Menes seinem Herrn die Empfehlungsschreiben nebst der Audienzerlaubnis vor. Der König, erfreut darüber, daß er in seinem Retter den Sohn eines treuen Dieners seines seligen Vaters gefunden, durchsah die Rollen und sprach hierauf: »Nicht diese Rollen, nicht diese Beweise, daß deine Familie unserem Königshause treu ergeben war, sind es, die mir dein Vertrauen erwecken; ich glaube deinen Augen mehr als diesen Schriftstücken. Stecke sie wieder zu dir, sie können meine Freundschaft zu dir nicht mehr verstärken.«
Nun vertraute
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