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Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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standen regungsloser als ihr Gott; wie ein immer steigender Sturm wogte die Masse auf und ab, Fragen, Antwortgeben, Verwünschungen durchbebten die dicke, weihrauchgeschwängerte Luft, bis sich schließlich, nachdem das Gerücht genugsam verbreitet, alle die vielen Stimmen in einem Schrei der Entrüstung auflösten. Am lebhaftesten war die Verwirrung an dem Ort, von dem der Pfeil geflogen kam, dort hatten die Nächststehenden einen Schützen aufgegriffen, der sich, ohne sich zu verteidigen, ruhig fesseln ließ, seinen Feinden trotzig in die Augen sehend. Während dieser Zeit stand der König mit sinnenden, träumerischen Mienen am Altar, ohne auf das Lärmen um ihn her zu achten. Der Oberpriester war ihm näher getreten, sein Beileid auszudrücken, aber der König warf ihm, als ihm jener die Hand reichen wollte, einen so wildverstörten Blick zu, daß sich der Priester sogleich zurückzog. Der Pfeil ging von Hand zu Hand; der König machte eine abwehrende Bewegung, als man ihm denselben noch einmal zeigen wollte. Als er seine hohe, schwermutumdunkelte Stirne hob, sah er zu seinen Füßen den von seinen Kriegern mittlerweile herbeigeschleppten mutmaßlichen Verbrecher, auf dessen augenblickliche Verurteilung die Umgebung harrte. Gewaltsam hatten sie dem Schützen den Nacken gebeugt, der König jedoch würdigte ihn keines Blickes, sondern reichte, den Ernst seiner Züge mit Anstrengung aufheiternd, dem neben ihm stehenden Menes die Hand.
    »Dir verdanke ich mein Leben,« sprach er sanft, »ich danke dir, wer du auch seiest; du sollst von nun an in meiner Nahe bleiben; du darfst dir den Namen ›Freund des Königs‹ beilegen.«
    Menes trat bescheiden zurück, aber Ramses ließ seine Zurückweisungen nicht gelten.
    »Wessen Leib dem König zum Schilde gedient,« sagte er, »der hat Anspruch auf die höchsten Gnaden, denn ein Gott hat ihn in die Nähe des bedrohten Königs geleitet. Dieser Pfeil würde mich hinweggerafft haben, wenn du ihn nicht aufgehalten, und ich betrachte dich als einen von meinem Vater, dem strahlenden Râ, dem Hochheiligen, Gesandten. Ich lege vertrauungsvoll meine Hand in die deine. Wen ich belohne, der nimmt den Lohn so willig hin, wie der die Strafe, den ich strafe, und dich belohne ich, um meinem Volke zu zeigen, wie sein Herr treue Dienste zu ehren weiß. Achtung und Ehrerbietung diesem Manne,« rief er dann seinem Gefolge zu, »er steht mir von diesem Tage ab an Rang kaum nach.«
    Menes mochte fühlen, wie klug der König handelte, ihn vor allem Volk so auszuzeichnen; das mußte den Eifer, ihm zu dienen, aufs äußerste schüren.
    Mit einem Blick auf den vor ihm knienden Bogenschützen fragte der Herrscher:
    »Erkennst du diesen als meinen Mörder?«
    »Er ist es,« sagte Menes, »er stand hinter jener Säule.«
    »Man suche aus ihm herauszubringen,« wandte sich Ramses an seine Umgebung, »wer ihn zu dieser Tat verleitet, und ertränke ihn sodann.«
    Das Morgenopfer wurde hierauf als beendet betrachtet. An Menes' Arm schritt der König durch die Reihen seiner ihn umjubelnden Krieger, gnädige, heitere Blicke um sich werfend, die nichts von innerer Unruhe verrieten. Den Eingang des königlichen Gemaches umdrängte eine solche Menge von herbeigeeilten Einwohnern Thebens, daß dem Herrscher kaum eine schmale, von Soldaten mühsam gebildete Gasse blieb, aus welcher sich ihm tausend Hände huldigend entgegenstreckten. Selbst vor ihm nieder warfen sich Frauen, ihm Blumensträuße überreichend, oder seine Füße zu küssen suchend. Ramses verteilte viele herzliche Worte unter die ihn Umdrängenden, bis er hinter dem Teppich des Einganges verschwand, welchen die Volksmenge noch so lange umstand, bis ein Kämmerer hinter denselben auftauchte, die Hand gegen die tosende Menge erhebend. Als allgemeine Stille eingetreten war, sprach der Kämmerer: »Der Sohn der Sonne dankt euch für die Beweise eurer Zärtlichkeit und Teilnahme. Nun aber bittet er sein Volk, ihn allein zu lassen. Dieser Vorfall hat sein Herz tief erschüttert. Er bedarf der Ruhe und Schonung.«
    Hierauf entfernte sich die Volksmasse auf den Zehen, um ihren geliebten Herrscher nicht zu stören.
    Menes hatte man auf höchsten Befehl ein Zimmer im Palaste angewiesen, in welchem er sich, über das eben durchlebte Ereignis nachsinnend, kaum zur Ruhe niedergelassen, als ein Diener ihn aufforderte, ihm vor das Angesicht des Monarchen zu folgen.
    Kaum hatte sich der Vorhang hinter ihm geschlossen, kaum umgab ihn das schimmernde Gemach mit

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