Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Anwesenden gerieten in die größte Bestürzung; Urmaa riß, ohne zu wissen, was sie tat, eine Verzierung ihres Kleides ab; Wut und Angst verzerrten ihre Züge.
»Ich will es,« sagte der König, sie scharf anblickend.
»Tut es nicht,« rief der Mann mit fast verzweiflungsvollem Ton.
»Was hast du dagegen einzuwenden?« erwiderte der König ruhig.
»Ich bin nicht wert solcher Gnade,« murmelte der Schütze leise, sich wie vernichtet seinem Gebieter bis vor die Füße schleppend.
»Mache dich dieser Gnade wert; ich will nicht wissen, wer dich soweit gebracht, armer Mensch, nach deines Königs Leben zu trachten, jedoch ich sah dir an, daß diese Tat nicht aus deinem Herzen hervorkam. Wir wollen sehen, was wir aus dir machen können. Führt ihn weg und reicht ihm Speise und Kleidung.«
Der König verließ, nachdem er dies gesagt, das Zimmer. Auch Urmaa ging mit ihrem Sohne, beide aufs äußerste bestürzt über diese Wendung der Dinge, deren Zeuge sie waren.
Kaum vermochten sie ihre Verwirrung zu verbergen. Der Schütze kauerte noch so lange am Boden, bis die Krieger den Taumelnden fast mit Gewalt hinausführten. Menes aber pries sich glücklich, die Gunst eines solchen Herrn erworben zu haben und folgte der Königstochter zum Gebet in den Tempel.
Viertes Kapitel
Ramses konnte bald unseren Freund nicht mehr entbehren. In Staatsgeschäften hatte er seinen Rat zu erteilen, er mußte den König auf Schritt und Tritt begleiten, er schlief neben dem Gemach des Königs, er aß mit ihm an einem Tische, er ging mit ihm auf die Jagd. Oft, wenn das Herz des Königs dumpfe Schwermut bedrückte, verscheuchte Menes diese trübe Laune auf die zarteste Weise. Dafür suchte sein Herr sich ihm auf alle Art erkenntlich zu erweisen; nicht nur durch Worte gab er ihm seine Zufriedenheit zu verstehen, Geschenke, oft der prächtigsten Art, besiegelten sein Wohlwollen.
So hatte er das Zimmer seines Lieblings aufs herrlichste schmücken lassen; Buntwirkereien glühten von den Wänden, Blumen prangten in Vasen, seine Speisen waren die ausgesuchtesten; er ließ ihm Gewänder von solchem Werte überreichen, daß Menes sich weigerte, sie anzulegen.
Da der Palast von einer geheimen Verschwörung unterwühlt schien, war das Leben in demselben das Leben auf einem sturmgepeitschten Schiff. Kein lautes Reden, nur Geflüster schwebte durch seine Hallen; scheues Auftreten, ängstliches Umblicken, furchtsames Befragen allenthalben, als ob der Pfeil, der einst dem König gegolten, noch immer durch die Luft zische, als ob hinter jeder Säule die Faust eines Mörders lauern könne. Keiner traute dem anderen; Wachen vor jedem Ausgange, Krieger in allen Höfen, in den Vorgemächern, rings um das Gebäude. Ramses hatte seinem Freunde die Aufsicht über diesen kriegerischen Schutz anvertraut, hatte ihn also dadurch zum Behüter seines Daseins gemacht.
Der Jüngling, obwohl stolz auf dies hohe Amt, liebte es dennoch nicht, aber er sah ein, daß er der einzige sei, dem sein Gebieter völlig sicher das Haupt in den Schoß legen dürfe. Menes verlegte das Schlafgemach seines Herrn in den Mittelpunkt des riesenhaften, stadtartigen Palastes; ringsum in den anstoßenden Gemächern verteilte er die treuesten Soldaten, so daß das Nachtlager des Königs mehr einem Feldlager glich, als einem Orte des Friedens. Die Königin nebst ihrem Sohne schliefen, nach Menes' Anordnung, im äußersten, wohl eine halbe Stunde entfernten Teile des Gebäudes. Natürlich begegnete Menes, seit er der Nächste am Thron geworden, seit er gewissermaßen das Fundament des Reichstempels bildete, vielen unfreundlichen, neidischen Blicken, er fühlte, daß sein Leben vielleicht nicht weniger bedroht sei, wie das seines Herrn, doch ließ er sich dadurch nicht irremachen. Einmal hatte der König nachts im Schlaf laut aufgeschrien; sofort schmetterten die Trompeten, rasselten die Trommeln; als Menes bestürzt an das Lager des Herrschers eilte, erklärte ihm dieser: er habe einen unheimlichen Traum gehabt. Von dieser Zeit an ließ der junge Mann Lampen in den Schlafgemächern aufstellen, die die Nacht zum Tage machten. Hui, der neuerworbene Diener, zeigte sich in jeder Hinsicht ergeben. Menes versuchte manchmal die Geheimnisse der Verschworenen, von denen Hui jedenfalls wußte, aus ihm herauszulocken, jedoch der Diener wich jedesmal aus, versichernd, er sei seinem Herrn treu bis zum Tod, nur solle man nicht von ihm verlangen, über das zu sprechen, was ihn zu jener Tat, die er jetzt
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