Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Menes verhielt sich diesen Launen gegenüber zurückhaltend; er dachte an Myrrah, und das Bild dieses einfachen Mädchens wurde, wie er fühlte, nicht verdunkelt von dem berauschenden Glanze des Königskindes, dessen Schönheit wohl blendete, dessen Geist überraschte, das aber nicht die nachhaltige Anziehungskraft besaß, die Myrrah eigen war. Die Königstochter hatte große Gefühle, witzige Einfälle, aber sie besaß nicht die bescheidene Demut, die auf Menes' Herz mehr Eindruck machte, als diese kühne Lebhaftigkeit. Wenn Menes sie abends nach ihrem Gemache, das über dem Hofe lag, begleitete, dankte sie ihm oft auf eine so auffallende Weise, daß der Jüngling erschrak. Zuweilen ertappte er ihren Blick, wie er trunken auf seinem Gesichte ruhte, so daß sie ihn dann errötend hastig abwandte; manchmal suchte sie ihn durch stolzes, beharrliches Anblicken aus der Fassung zu bringen, was ihr auch meistens gelang; noch besser aber brachte sie dieses zustande durch mutwillig geistreiche Fragen, die sie mit solcher Geschicklichkeit stellte, selbst beantwortete, veränderte und wieder stellte, daß unser Freund Mühe hatte, ihren Gedankensprüngen zu folgen, da seine Art zu denken mehr die gründlich langsame, als die leichte, sprühende war.
Ein Tag war es, der Menes besonders lange im Geiste beunruhigte, und als ihn Asa-Termutis am Morgen dieses Tages einlud, eine Gondelfahrt auf dem Nil mit ihr zu unternehmen, ließ er sich von dem eigentümlichen Schicksal, das ihm bevorstand, nichts träumen. Sie hatte ihm vorgeschlagen, ihr Felsengrab, an dem der letzte Axthieb geschehen war, zu besichtigen; er möge sein Urteil abgeben über Architektur wie Malerei. Eine schlanke, vergoldete Gondel, deren bunte Segel im Winde des kaum beginnenden Tages rauschten, schmiegte sich zu Füßen des mächtigen Palastportales, aus welchem nun die Königstochter, umgeben von ihren Frauen, holdselig-glückliches Lächeln auf den Lippen, trat: wie der Mond, wenn er aus dem Dunkel der Wolken auftaucht. Menes schritt neben ihr her, zuweilen den großen Schirm regulierend oder eine Falte ihres durchsichtigen Gewandes ordnend.
»Welcher frische, kühle Morgen,« sagte die Prinzessin heiter, während die kostbaren Sandalen ihres kleinen Fußes das schmale Brett betraten, das in die Gondel führte. Menes wollte ihr den Arm reichen, sie aber schwang sich lachend, gewandt, wie eine Tänzerin auf die Purpurpolster, welche schwarze Sklaven zurechtgelegt hatten. Die Gondel schwankte wie trunken, solch süße Last zu tragen. Menes nahm neben Asa-Termutis Platz, die Segel wurden gestellt und durch die aufbrausenden Wellen des alten Nil schwebte der Kahn mit seinen schöngeschmückten Insassen dem westlichen Ufer zu. Anfangs bannte der Anblick der herrlichen Landschaft ringsum jedes Wort; jedes Auge blickte bezaubert zurück nach dem stolz aufragenden Theben, wie es überglüht vom Morgenrot dalag, mit seinen Tempeln, Palästen, Säulenhallen und Palmen, gleich einem blutübergossenen, riesenhaften Ungetüm, dessen mächtige Glieder sich spiegelten im ängstlich zitternden Nil. Ein violetter Duft schwamm über dem ganzen Bilde, seine erschreckende Großartigkeit fast zur Lieblichkeit mildernd; ferner erhoben sich die Pylonen des Amun-Râ-Tempels wie zwei Steingebirge und in der fernsten Ferne tauchten scharfgezeichnet die Höhen des arabischen Gebirges gelblich hervor. Auf dem anderen Ufer, dem sie entgegensteuerten, blickten die schwarzen Wände der Totenstadt herüber, drohend, wie ein offener Sarg; weiter oberhalb sah man rotglühend die Steinkolosse des Amenophis auf ihren Stühlen sitzen, wie feurige Wächter des Morgenrotes, die Hände auf den Knien, die schweigenden Gesichter Theben zugekehrt, als könnten sie sich vor Bewunderung nicht fassen, all diese schimmernde Pracht zu schauen. Leise herüber wehte das Gemurmel der erwachenden Riesenstadt; man unterschied die Gesänge der Priester, das Ausrufen der Verkäufer, die Befehle der Kriegsleute. Dort öffneten nun die Bäcker, die Weber ihre Räume; der Schuster setzte sich an seine angefangenen Sandalen, der Färber ging an seine unsaubere Arbeit, die Fischer trugen ihre Netze, der Schreiner hobelte den Ziertisch eines Reichen oder belegte ihn mit kostbarem Holz und der Maler tauchte seinen Pinsel in die Farbe, um mit vorsichtigem Finger die Lotosblume oder das Krokodil auf das schönbauchige Porzellangefäß zu zaubern, aber auch der Mumienverfertiger schickte sich an, seine Leichen für ihre
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