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Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Mittelpunkt konnten Sonne und Mond hineinscheinen. Aber wie hinuntergelangen? Er sah über den Rand in die Tiefe hinab. Zu erlauschen, was unten gesprochen wurde, war unmöglich; er mußte in das Innere der Zelle gelangen. Das mitgebrachte Seil ließ sich wohl an einer der hervorspringenden Dachverzierungen befestigen, reichte aber kaum bis in die Hälfte der Höhe. Doch dort stand eine Bildsäule Amuns, deren Haupt noch vielleicht acht Fuß vom Rande der Decke entfernt war; soweit reichte das Seil. Erfreut über diese Entdeckung, schlang Menes das Seil um eines der Ornamente; es berührte, hinabgelassen, die Steinschulter des im Sternlicht grünlich schimmernden Gottes.
    »Der Gott wird mir seine Entweihung verzeihen,« murmelte Menes aufgeregt, als seine Sandalen erst des Steinbildes Haupt berührten, dann auf seinen Schultern ruhten, dann auf seinen Armen hinabglitten und schließlich auf seinen Knien festen Boden suchten. Ein Sprung ließ ihn von dort die Steinfliesen der Zelle erreichen. So war er also im Mittelpunkt der Verschwörung, konnte hinter dem Rücken des Gottes, unsichtbar wie ein Geist, ihre Schändlichkeiten mit anhören. Die Säulen der Zelle standen regungslos, wie alte Krieger; über der Öffnung des Daches flimmerte der Sternhimmel; grün, wie eine Eidechse, schimmerte der Gott. Nun galt es ausharren. Ein Frösteln der Erwartung überlief Menes, die Knie zitterten ihm so heftig, daß er sich niedersetzen mußte. Es war eine seltsame Lage, er verhehlte es sich nicht. Die tiefe Stille ringsum regte die beängstigte Phantasie tief auf; er mußte zuweilen nach Atem ringen, so schwer legte sich ihm die Nacht und die spannungsvolle Erwartung auf die Brust. Er hatte vielleicht eine halbe Stunde voll Unruhe und Beklommenheit verbracht, als er draußen auf dem Gange näherkommende Schritte hörte. Mittels eines geschickten Schlages verbarg er das herabhängende Seil hinter dem Haupte des Gottes und lauschte. Was sollte sich ihm jetzt entschleiern? Welche Pläne schmiedeten die Gottvergessenen! Er war am Ziel, ihm war es vorbehalten, der Retter des Reiches genannt zu werden, und diese Gedanken erfüllten ihn mit Stolz. Die Türe ward geöffnet; Psenophis, der Oberpriester, schlich behutsam herein. Er trat auf den Altar zu, auf welchen er eine mitgebrachte Lampe stellte, deren Schein das grünliche Steinbild nebst den Säulen matt erhellte; dann winkte er nach der Türe; durch diese trat ein Sklave, mehrere Stühle hereintragend, die er im Kreise umherstellte. Kaum war dies geschehen, so hallte der Gang von neuen Schritten wider. Menes fühlte nun erst vollständig das Gefahrvolle seiner Stellung. Hoffentlich kam keiner der Eintretenden auf den Einfall, zwischen die Bildsäule und die Wand zu blicken. Hier stand oder besser stak der Tollkühne, still wie eine Leiche, selbst den Atem unterdrückend, soviel es gehen wollte.
    »Näher, nur näher,« rief Psenophis. »Ah! unsere Königin mit ihrem erlauchten Sohn.«
    »Wir sind es,« sagte Urmaa-nofru-râ, ihr Tuch zurückschlagend, »wir stahlen uns aus dem Palast. Noch niemand sonst hier?«
    »Es scheint, wir sind die ersten,« erwiderte Cha-em-dyam, finster um sich blickend.
    »Die ersten und die besten, nicht die ersten besten,« witzelte Psenophis, »doch da kommen auch die übrigen pünktlich. Nur herein,« rief er den Gang hinab, »ihr braucht eure Schritte nicht zu dämpfen. Wie könnte hier ein Lauscher in der Nähe sein, ich habe alle Priester längst entfernt.«
    Menes sah nun, wie einige ihm Unbekannte eintraten, die Anwesenden grüßten und sich zu ihnen setzten. Unter diesen befand sich ein dunkelfarbiger Jüngling, der, wie Menes aus den Anreden der übrigen erfuhr, ein äthiopischer Königssohn aus Meroë war. Nachdem alle Platz genommen, schloß Psenophis die Türe, holte die Lampe vom Altar – wobei ihr flackernder Schein vorüberhuschend den Winkel unseres Freundes streifte – und stellte sie mitten in den Kreis der Verschworenen. Als die Türe ins Schloß fiel, war es unserem Freund, als habe sich die Welt hinter ihm geschlossen. Er strengte alle seine Sinne aufs äußerste an. Nun galt es sehen, hören, behalten, nun saß er in der Höhle der Löwen – Umkehr unmöglich – er mußte ausharren, bis es jenen beliebte, zu gehen.
    »O großer Amun-râ, der du zornig auf diese Elenden herabblickst,« betete er inbrünstig, »leihe mir deinen Schutz. Wenn du mich wieder glücklich aus den Klauen dieser Schurken befreist, will ich, was ich

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