Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
finden ist.«
Der fette Kommerzienrat strahlte. Er fing seinen ganz gemeinen Regimentsmarsch auf dem Klavier von Neuem an und rieb dabei seinen breiten Rücken wie ein gestreichelter Kater an der Stuhllehne.
»Mein Gott, Frau Rechtsanwalt,« sagte er dabei, in der ölig-pomadigen Klangfarbe seines Dialektes, »Sie brauchen mer net zu danken – Ihr reizend Lache is mer ja schon Danks genug.«
Das Dienstmädchen trat ein und stellte ein Teeservice auf den runden Tisch. Der Kommerzienrat redete das frische Mädchen an und sie gab unbeholfen Antwort. Dabei gebrauchte sie, um ja keinen Verstoß gegen die Etikette zu machen, unaufhörlich den Titel ›Herr Kommerzienrat‹. – ›Der Herr Kommerzienrat entschuldigen!‹ ›Der Herr Kommerzienrat wünschen?‹ Kurz, sie begann und schloß jeden Satz mit dem Kommerzienrat und flocht ihn auch noch mitten hinein, so daß es selbst dem Kommerzienrat zuviel ward und er etwas betreten sagte: »Bitte, nur hie und da einmal!« Dieses: Bitte, nur hie und da einmal! ward bald in der Familie zum Sprichwort.
Und abermals, als das Mädchen draußen war, erklang der Genesungsmarsch. Herr und Frau Meyer taten, als ob sie immer neu von der trivialen Melodie bezaubert seien. Die gypserne Niobe aber blickte mit Jammermiene vom weißen Porzellanofen herab auf die vom elektrischen Kronleuchter angestrahlten roten Sammetmöbel des eleganten Salons; die arme antike Dame schien über das entsetzliche Klavierspiel in Tränen ausbrechen zu wollen. An der Wand hingen ein par leidlich gute Ölgemälde, die Otto Grüner der Familie gestiftet.
»Ach,« brach der eitle Komponist sein affektiertes Spiel ab, »sehn Se, wenns kein Musik gäbe däht, möcht ich gar net auf der Welt sein. Gelte Se, Frau Rechtsanwalt, so gehts Ihne aach?«
»Ach ja,« seufzte die Angeredete gutmütig, die wußte, daß Weihals obige Phrase seinem Klavierlehrer nachplapperte. »Nichtwahr . . . Richard Wagner?«
»Ach ja! Der göttliche Richard!« flötete rein verklärt der gänzlich ungebildete Weihals, »hören Se nur – so ä Melodieche kann doch kei Annerer mache? he?« Er spielte natürlich den holden Abendstern! Seine selten bleichen Hängewangen zitterten während seines Spiels wie Gallerte; eine widerlich-süßliche Sentimentalität, der man das Erheuchelte ansah, glänzte dabei in seinen gierigen Schweinsäuglein.
Nun klopfte es an die Türe, Karl Körn und Otto Grüner traten zusammen ins Zimmer. Der Anwalt erschrak, suchte aber seine Gemütsbewegung unter ausgelassener Jovialität zu verbergen. Der Kommerzienrat erhob sich und trippelte auf die beiden Freunde in seiner sonderbar glitschenden Weise zu, die ihm den Spitznamen »Der Eiertänzer« eingetragen hatte. Von Emilie wurden die Beiden mit jener weichen, innigen Herzlichkeit empfangen, die nur zum kleineren Teil durch ihre Zuckersüßigkeit an die Höflichkeitsmache der Weltdame erinnerte. Es lag auch entschieden echte Liebenswürdigkeit in diesem schmelzenden Entgegenkommen.
Nun erschien auch Natalie, die sogleich von Otto und Karl begrüßt wurde. Sie hatte indes heute wieder mal ihre herbtrotzige Laune und nahm die ihr zu Füßen gelegten Huldigungen mit kühler Verdrossenheit in Empfang. Karl flüsterte Otto ins Ohr: »Wunderliches Ding! stolz und eingebildet – auf was nur?« Otto gab leise zurück: »Jungfräulicher Seelenadel!« Beide lachten.
Natalie sprach fast kein Wort, obwohl sich auch der Kommerzienrat um sie bemühte. Sie behandelte ihn jedoch fast mit noch größerer Zurückhaltung als die übrigen Personen, so daß ihre Mutter ihr mehrmals Winke geben mußte, sie solle doch liebenswürdiger sein. Dann raffte sie sich einmal ein wenig aus ihrer Versunkenheit auf, um gleich desto 8tiefer hinein zu versinken. Endlich fragte sie den Gymnasiasten leise: »Wie steht es denn mit Ihrer neuen Religion?«
Der Angeredete fing sofort Feuer, da er merkte, daß sich das Mädchen tatsächlich ernstlich für diese Frage interessierte. »Ich bin wieder zu einer anderen Weltanschauung übergegangen,« begann er leise. »Ich behaupte, Gott ist die Weltphantasie.«
»Ach,« warf sie begeistert dazwischen, »ich verstehe wie Sie das meinen.«
»Da Gott« fuhr er fort, »zugleich das Vollbringen besitzt, kann er seine Phantasien sofort in Gestalten verwandeln. Die Phantasie des Künstlers ist nur ein schwächlicher Ableger der Gottesphantasie. Gott stellt sich Bilder vor – und sie sind! Wir sind die Traumbilder Gottes. Nach diesem Leben werden
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