Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
hatte sie das Haus des Theologen erreicht. Ein großer, düsterer Hof nahm sie auf. Ringsum Magazine, Werkstätten, Fässer. Ein ohrenbetäubendes Hämmern beleidigte aus einer Schlosserei dringend ihr Ohr. Sie erkundigte sich bei einem Schlossergesellen, ob hier Dr. Simmer wohne?»Drei Stiegen hoch, im Vorderhaus!« war die Antwort. Sie grüßte freundlich und stieg die Treppen hinauf! Endlich stand sie vor der Glastür.
Ein Dienstmädchen öffnete und fragte nach dem Namen des Besuchs. Emma murmelte absichtlich ein ganz unverständliches Wort, das etwa Horn oder Korn oder so ähnlich lautete, vor sich hin. Das Mädchen, das anstandshalber nicht zweimal fragen wollte, führte sie in den Salon. Das war ein puritanisch einfach ausgestattetes Gemach, durch dessen Türe Säuglingsgeschrei herüberhallte. Während das Gewinsel sich steigerte, öffnete sich die Tür. Ein abgehärmter Frauenkopf erschien in der Spalte, fuhr aber gleich wieder zurück. Dann hörte sie eine herrische Männerstimme hinter der Tür, einen kleinen Wortwechsel, ein leises unterdrücktes Weinen. Gleich darauf kam ein bartloser Mann, dessen Gesicht man ansah, daß es von einem eben durchgekämpften Ärger sich mühsam zur grinsenden Liebenswürdigkeit durchrang, eine vierschrötige, plumpe Gestalt mit kalten, strengen, fuchsartig schlauen Zügen, die durch schielende Blicke noch widerwärtiger gemacht wurden. Der Theologe konnte den reichen Metzgersohn vom Dorf nicht verleugnen; seine Manieren waren gravitätisch-tölpelhaft, heuchlerisch-freundlich.
»Mit was kann ich dienen?« begrüßte der Lehrer seinen Gast und lud ihn zum Sitzen ein.
Emma war schlau genug, zur Einleitung sogleich die geistlichen Gedichte des Herrn, die sie übrigens gar nicht gelesen hatte, zu loben. »Ich wollte Ihnen zunächst meinen tiefgefühlten Dank für den Genuß dieser ›Palmblätter‹ aussprechen . . .«
Er korrigierte leise: »Herbstblätter« und fuhr mit vor Wonne ordentlich zerfließender Miene fort: »Es tut dem Herzen so wohl eine mitfühlende Seele zu finden! Sie machen mir in der Tat durch Ihre Anerkennung eine unendliche Freude . . . Der Sinn für glaubensstarke Lyrik ist heutzutage fast erloschen! Desto herrlicher erhebt es die Seele, wenn sie eine Seele findet, die sich in dem Herrn mit ihr vereint.« Sein Schielauge warf einen grüngelben Blitz zur Decke. Unwillkürlich war er dem schönen Fräulein ein wenig näher gerückt, hatte seine Hand ausgestreckt und die ihm entgegenkommende Hand der ihn stark anziehenden Schönen ergriffen. Nun legte er mit pastoraler Würde auch seine Linke auf die weibliche Hand, so daß er sie ganz zudeckte, als wollte er sie sorgsam vor jedem sündhaften Anhauch der Welt bewahren. Emma lenkte einen anbetenden Blick in seine Augen, der ihm außerordentlich wohl zu tun schien. Nun flüsterte er sanft, mit verbindlichem Lächeln: »Aber verzeihen Sie . . . ich habe ganz Ihren werten Namen überhört. Darf ich fragen, mit wem ich . . .?«
So war sie doch gezwungen ihren Namen zu nennen. Kaum war er ihren Lippen entflohen, so bemerkte sie ein entschiedenes Nachlassen des entzückten Lächelns auf dem schlauen Fuchsantlitz. Die spitze, scharfe Nase schien Unrat zu wittern, die pfiffigen dünnen Lippen preßten sich feindselig boshaft aufeinander, die kalten Schielaugen warfen einen grüngelben Blick auf das Mädchen. Dies Auge kam ihr jetzt mit seiner gallertartigen Pupille vor wie der ekle Auswurf eines Lungenkranken. Ihre Hand ließ er sofort los. Doch konnte er nach einer solch herzlichen Einleitung unmöglich plötzlich einen schroffen Ton anschlagen, auch war die Sünderin wirklich zu anmutig.
»Ach so . . . so . . .« stotterte er, unruhig auf dem Stuhl rückend und sich in seinem Zimmer umschauend, als würden dessen keusche Wände entweiht, durch die Gegenwart einer Lasterhaften.
»Ja,« sagte sie errötend, »verzeihen Sie dem Weltkind, wenn es im Vertrauen auf die Frömmigkeit, die aus Ihren Versen leuchtet, Trost und Hilfe in Anspruch nimmt.«
Sogleich als er an seine Verse erinnert wurde und an sein geistliches Amt, hellte sich die Miene des Gottesmannes wieder auf. »Sie sprachen von Hilfe?« sondirte er vorsichtig. »Geistlichen Trost verweigere ich gewiß keiner Seele; darf ich nicht verweigern.«
»Darf ich frei reden?« fragte sie bescheiden ängstlich.
Er lehnte sich würdevoll zurück und erwiderte mit salbungsvoller Milde: »Reden Sie, bitte.«
»Hilfe – ja,« entgegnete sie eifrig.
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