Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
Vom Netzwerk:
besprochen; man holte schließlich sogar den Tierarzt. Der äußerte sich bedenklich und verschrieb ein Mittel. Doch kostete es viel Mühe, bis sich der hohe Patient dazu herabließ, einen Löffel voll Medizin zu nehmen. Luise mußte ihm den Kopf halten und den Rachen öffnen, Emma paßte dann den richtigen Moment ab und suchte ihm gewaltsam die Arznei zwischen die Zähne zu gießen. Über diese unwürdige Prozedur war der edle Dulder höchst ungehalten. Er sträubte sich mit allen vier Beinen und wollte die heilsame Notwendigkeit dieser Einflößungen absolut nicht begreifen. Als er aber endlich doch die Arznei glücklich im Leib hatte, geruhte er bald sich besser zu fühlen. Die Eßlust kehrte zurück, zur Freude der Damen, die ihm sein Lieblingsgericht, rohes Pferdefleisch, schabten; auch begann er wieder mit den Nachbarkätzinnen vom Schlafzimmerfenster herab zu liebäugeln, was ja bei Tier und Mensch stets ein sicheres Zeichen der Genesung sein soll.
    Die Kur riß ein ordentliches Loch in die magere Kasse der beiden Freundinnen. Sie mußten sich für einige Tage des Fleisches enthalten, aber dafür war die Freude um so größer, als der schöngefleckte Raufbold wieder hinaus begehrte ins Freie, als die Jagd, der Kampf, die Minne wieder neue Reize für ihn hatten.
    Luise gab Unterricht am Pianino. Dabei ließ sie die Augen vom Notenblatt stets durch das halbgeöffnete Fenster schweifen, denn draußen im kleinen Hausgarten mischten bald jämmerliche, bald zärtliche Katzensehnsuchtslaute sich in die Sonate, die von den Stümperhänden der kleinen Schülerin heruntergehackt wurde. Oft stürzte Luise, für ihren Liebling besorgt, mitten im Spiel hinaus, um den edeln Kämpfer aus den Klauen mehrerer Nebenbuhler zu befreien. Schließlich trug sie den Fauchenden auf dem Arm herein, schloß Tür und Fenster und verbot dem Söhnchen ernstlich sich in neue Kämpfe zu begeben.
    Emma saß heute am Fenster des Wohnzimmers und malte nach einer kleinen Photographie ein großes Bild. Sie verdiente sich durch ihr bescheidenes Maltalent zuweilen auf diese Art nebenher ein paar Mark. Der Zufall hatte es gewollt, daß die kleine Photographie, die sie vergrößern sollte, den Direktor Körn darstellte. Einige Schüler wollten beim Abgang aus dem Gymnasium ihrem geschätzten Lehrer dadurch eine Freude bereiten, daß sie das lebensgroße Brustbild des Direktors für den Lehrsaal der Oberprima stifteten. Der Photograph hatte den Schülern geraten sich an Fräulein Emma Dorn zu wenden, die diese Arbeit gewiß zur Zufriedenheit der Auftraggeber vollenden werde. So war es gekommen, daß Emma die Züge ihres Feindes liebevoll mit Farben betupfen mußte. Beim Anblick dieser Züge, die die Vorstellung eines eingebildeten Schultyrannen in ihr erweckten, fiel ihr das Verbot wieder ein, das er dem Sohn gegenüber ausgesprochen. Wie kam dieser Mann dazu, sie für eine Person zu halten, die seinem Sohn verderblich werden könnte? Ein wahrer Ingrimm stieg in ihr auf, der so heftig ward, daß sie kaum weiter malen konnte. Ihr leidenschaftliches Herz suchte nach einer Tat, begehrte nach Rache. Ja, sie wollte sich rächen, aber wie? auf welche Art? Sie konnte ihn doch nicht öffentlich beohrfeigen! mit der Hundspeitsche angreifen! Sie arbeitete sich in eine solche Wut hinein, daß sie aufstand und erregt durchs Zimmer schritt. Es war eine Eigentümlichkeit ihres Charakters, daß sie auf Beleidigungen niemals gleich reagierte; immer erst nach einigen Tagen stellte sich, in Folge der Reflexion über den Fall, die Entrüstung ein.
    Vor allen Dingen wollte sie den Direktor persönlich kennen lernen; denn die feinste Rache, die sie an dem dünkelhaften Menschen nehmen konnte, war – ihm zu gefallen, ihn womöglich zu ihren Füßen schmachten zu sehen. Freilich war dies ein Wagestück. Ob so ein eingetrockneter deutscher Magister überhaupt sich weiblichen Verführungskünsten zugänglich zeigte? Nun, Körn schien nicht gerade zu den Philistern zu gehören. Er sollte ein sehr flotter Bruder Studio gewesen sein und jetzt noch alljährlich in Paris sein Leben genießen. Vielleicht war seine Sittenstrenge nur Maske?
    Sie kleidete sich an, um den Dr. Simmer aufzusuchen. Das tat sie nicht nur, um den armen Karl zu retten, auch um durch diese Tat den Direktor günstig für sich zu stimmen und einen Grund zu haben, ihm demnächst einen Besuch abzustatten.
    Jetzt verließ sie das Haus und eilte rasch durch die Straßen, ganz in ihre Rachepläne versunken. Bald

Weitere Kostenlose Bücher