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Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Titel: Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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Antwort.
Nera hält den Atem an.
»Was wollen Sie über den wissen?«, brummelt den Wool. Kleidung raschelt, vermutlich macht der Sektenführer es sich auf dem Klodeckel bequem.
»Sie kennen ihn also«, stellt Nera entschieden fest.
»Er war einer von uns«, berichtet den Wool. Seine Stimme hallt von den Fliesen wider. »Es hat ihm Spaß gemacht, Fahrpläne auswendig zu lernen.
Zuerst kam er einmal die Woche, dienstagabends, zu unserer offenen Kursbuchstunde. Später kam er zweimal die Woche zur meditativen Fahrplankonferenz, und er stand kurz vor der Prüfung zum Junior-Glaubensbruder.«
»Was dann geschah?«
»Er kam plötzlich nicht mehr. Das heißt: nur noch sehr selten.« Etwas klickt, kurz darauf zieht Qualm durch die Türritzen – den Wool hat sich eine Zigarette angezündet.
»Hatte er etwa keine Lust mehr, Kursbücher auswendig zu lernen?«, fragt Nera ironisch.
»Er hatte einen sehr zeitraubenden Job angenommen. Er hat's einfach nicht mehr geschafft.«
»Was für einen Job?«
»Irgendwas mit Werbung.« Es klingt eher abfällig.
»Davon wusste ich nichts«, gibt Nera zu.
»Er war in ein ziemlich großes Projekt eingebunden, hat er erzählt. Das war vor einigen Wochen. Seitdem hat er sich nicht mehr gemeldet.«
Lang X sieht Nera fragend an, aber die zuckt nur die Schultern. Sie weiß nicht, ob den Wool lügt. Falls nicht, weiß sie immer noch nicht, wo Tilko steckt, denn Jobs, die mit großen Werbeprojekten zu tun haben, gibt es heutzutage ziemlich viele. Das fängt an bei Plakate kleben, geht weiter mit viralem Marketing und hört auf bei der kreativen Planung möglichst auffälliger Kampagnen. Für nichts davon erscheint Nera Tilko besonders talentiert.
»Ich würde mir gerne die Hände waschen«, sagt den Wool.
»Von mir aus«, schnappt Nera. Sie ist frustriert, weil die Befragung nichts Verwertbares ergeben hat. Von ihr aus kann der Priester rausspazieren und seine nächste Hochzeitsscheidung zelebrieren.
Lang X knibbelt seine Sprengladung von der Tür und steckt sie ein. Nera fragt sich, warum sie dabei nicht explodiert. Vermutlich ein Spezialrezept oder ein simpler Bluff. Sie nimmt sich vor, Lang X später danach zu fragen.
»Können rauskommen«, sagt Lang X und tritt Richtung Vorraum zurück.
Die Klokabine klappt auf und der Hohepriester streckt vorsichtig seinen bärtigen Kopf heraus. »Dachte mir, dass ihr das seid«, brummelt er und schreitet gemächlich zum Waschbecken. »Stinkende Ungläubige«, ergänzt er freundlich. Er bedient den Seifenspender und lässt Wasser über seine Hände laufen. Lang X und Nera stehen unschlüssig dabei.
Urplötzlich fährt Gern den Wool herum. Verspritzt mit beiden Händen Seifenlauge. Nera bekommt was davon ins Auge, wendet sich ab. Es brennt, sie reibt. Neben ihr flucht Lang X auf Chinesisch. Ein Handgemenge. Nera tastet sich zum Waschbecken, um an frisches Wasser zu kommen. Hinter einem brennenden Schleier sieht sie, wie der Asiate mit dem Priester ringt.
Aber Lang X kämpft offensichtlich blind, seine Griffe gehen meist ins Leere. Den Wool holt weit aus und rammt dem Asiaten die Faust ins Gesicht.
Dann springt er zur Tür, flucht, fummelt am Schlüssel, den Nera leider stecken gelassen hat.
Nera ist am frischen Wasser, wäscht sich die Augen aus. Das Brennen lässt ein wenig nach, sie kann wieder etwas sehen. Lang X will gerade den Wools Hals ergreifen, bekommt aber nur Luft zu fassen. Endlich entschließt Nera sich einzugreifen. Hoffentlich gibt das keine blauen Flecken. Sie nimmt eine Stellung ein, von der sie hofft, dass sie einigermaßen furchteinflößend nach Martial Arts aussieht. Die passende Kleidung trägt sie immerhin. Aber Lang X kommt ihr in die Quere. Der Asiate sieht immer noch nichts. Den Wool hat endlich den Schlüssel umgedreht und schlüpft durch die Tür. Neras Augen tränen furchtbar, aber sie sieht, was der Priester vorhat: Er will den Schlüssel von außen einstecken. Mit einem gewagten Sprung ist sie in der Türspalte und schrammt sich das Handgelenk blutig. Draußen flüchtet den Wool, drinnen flucht X.
»Nimm Wasser«, sagt Nera, »wir müssen hinterher.«
»Geht schon«, keucht X, reibt sich die Augen, wischt sich Blut aus dem Mundwinkel. »Priester kann besser singen als kämpfen.«
»Zum Glück«, sagt Nera noch, dann sind sie auf dem Gang. »Da lang«, ruft sie und zeigt nach rechts, denn dorthin ist den Wool verschwunden.
Das ist nicht die Richtung, in der der große Saal liegt, vielmehr endet der Gang in einem

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