Walpurgistag
erzählt Annja Kobe von seinem Tag
»Du gloobst et nich. Also, det war so. Ick bin weg aus dem Torpedokäfer, weil der Friedhofsverwalter mich kurzfristig engagiert hat für eine Hochzeit, ohne mir vorher Bescheid zu sagen, ick meene, damit hätte er doch schon bei der Beerdigung rausrücken können, aber nee, die Pietät hat’s verboten. Man redet auf Beerdigungen nich von Hochzeiten. Wie siehst du überhaupt aus? Deine Haare sind ja von scheußlicher Farbe, und die Augen sind irgendwie auch anders, du siehst dir gar nicht mehr ähnlich. Der ist da also rein in den Torpedokäfer, ick saß schon beim zehnten Kaffee, und die um mich rum, hickehackebreit, riefen: >Hey, Verwalter Tod, Gevatter, setz dich zu uns, Blix ist stolz auf dich, wie majestätisch du Asche tragen kannst, Hut ab<, so ’n Blabla eben, wat man immer hört, wenn man zu spät und nüchtern auf Leichenschmäuse kommt, also manchmal ertrag ick det ooch nur schwer, was für Blödsinn die alle erzählen, wenn sie blau sind, entsetzlich, aber naja, ick war ja auch nicht besser, mein Gott, und ick erzähl dem eenen Suffkopp so zur Abschreckung die Geschichte, wo ick stolz, weil gerade die Fahrerlaubnis neu, mit dem Trecker und zwei Hängern durch Buchholz bin und komm da an der Kneipe vorbei, und da steht der Wirt in der Tür, und mit Trecker is man ja nicht so schnell, und ick erkenn da im Vorbeituckern in dem meinen Banknachbarn aus der Zeit an der 26. Oberschule Prenzlauer Berg und lass mal kurz auf ein Bier alles stehn und liegen, und naja, du weeßt, die Zeit jeht einem immer voran, ick merk erst, als es dunkel ist, dass es schon spät ist. Und ick, aber Ehrgeiz wegen dem Trecker, will das Ding noch in die Gärtnerei fahren, nachts um zwölf, so zu, wie ick war, und krieg die Kurve nicht und fahr in den Vorgarten und seh noch,
wie die Gartenzwerge unter ’n Rädern des Treckers zermalmt werden, und ick in Panik vom Bock und nach Hause und mir vorjenommen, stehste janz früh auf und beseitigst den Schlamassel. Aber als ick dann, klassisch verschlafen, um zehn beim Trecker ankam, hatten sie den schon abjeschleppt, und zu allem Übel war ick im Garten des Abschnittsbevollmächtigten gelandet. Seitdem bin ick a) kein Gärtner mehr und b) kein Fahrer, nur Trinker war ick noch eine lange Zeit, bis auch das sich nicht mehr lohnte.« – »Liebig, die Geschichte kenn ich schon. Auch die, wie du Beerdigungsmusiker geworden bist. Aber ich muss dir was erzählen, von Papa.« – »Erst mich ausreden lassen, dann bist du dran. Ick war also heute nach der Beerdigung im Grand Hotel Esplanade. Mindestens fünf Sterne. Is ja eigentlich nichts für mich.« – »Wer war überhaupt das Brautpaar?« – »Kennst du nich. Ick kannte die ooch nich.« – »Esplanade, ist das nicht das alte Teil am Potsdamer Platz, ich dachte, das wäre gar kein Hotel mehr?« – »Nee, nich das, wo der Freund von meinem Onkel Rudolf, weißt du, der, der im Hackepeter den Schlagzeuger aus dem Kartoffelsalat geholt hat, weil der immer so schnell blau war, Eintänzer war der vor dem Krieg. Nee, ick mein das am Lützowufer, diese überteuerte Schuhschachtel. Ick also da in die Bar mit meinem Harmonium und die Hochzeitsgesellschaft wie aus Bronze hinjegossen. Braut und Bräutigam mit ’nem Meter Abstand zwischen sich und rechts und links an den Tischen die Verwandtschaft, streng getrennt nach Herkunft. Und keiner sagt was. Auch das Paar nicht. Ick orgele also vor mich hin, und die starren still auf ihre Füße, ohne auch nur mit den Zehen zu wippen. Einmal wurde die Braut von der Brautmutter zur Toilette begleitet. Die Seide raschelt über den Steinfußboden, und kurz vor der Toilettentür nimmt die Brautmutter den Schleier auf, dass er nicht über den Siff der Kacheln gezogen wird. Alle glotzen ihr hinterher. In der Zeit des Toilettengangs hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still war es, selbst die Kellner haben sich nicht in die Nähe dieser Eiszeitfamilie getraut. Die rochen schon, dass es kein Trinkgeld geben würde. Mein Freund
versuchte sich in Kommunikation. Ick meine, er arbeitet auf dem Friedhof, da redet er mit Lebenden und Toten. Die Toten muss er sich vom Leib halten und die Lebenden bei Laune, der kann was, aber hier stieß selbst er auf Granit. Er fragt den Brautvater, wo er denn herkommt, und der sagt kurz und militärisch: >Wismar.< Dazu fällt meinem Freund nichts weiter ein als Ostsee, und der Brautvater nickt bedächtig. Und dann fragt mein Freund, was
Weitere Kostenlose Bücher