Walpurgistag
Schlachthof entlang, so kommen ihm seine beiden Lieblingspolizisten Gottfried und Bartuschewski nicht in die Quere. Auf dem Weg nach Lichtenberg erzählt er uns seine nächtlichen Erlebnisse. Wir staunen. Wo Alex so alles auf Staatskosten hinkommt, wenn die Nacht lang ist. Ich war schon jahrelang nicht mehr im Grunewald.
Vor sieben brauchen wir nicht vor dem Hochhaus an der Möllendorffstraße vorzufahren und mit dem Einräumen zu beginnen, das wäre zu auffällig. Wir parken den Lieferwagen, weil Liebig das toll findet, in der Liebigstraße und legen uns zum Schlafen auf die Ladefläche. Zwischen der Kühltruhe und der Kommode ist noch viel Platz. Aki wirft sich in den Liegestuhl und schläft augenblicklich ein. Alex macht es sich auf dem Sofa bequem und nestelt an den Schnürsenkeln, aber ich verbiete ihm, die Schuhe auszuziehen. »Da ist aber der halbe Grunewald dran«, gibt er zu bedenken, und Liebig sagt: »Lieber Kacke vom Reh als deinen Fußschweiß, Alter.« – »Ach, macht euren Scheiß doch alleene«, sagt Alex plötzlich und reißt die Plane wieder auf. Als er abspringt, rufe ich: »Und wer fährt das Auto bis zum Haus?« – »Die Vatermörderin«, ätzt er, »um die Ecke wirst du’s schon noch schaffen, ohne dich erwischen zu lassen.« Dann wirft er mir den Schlüssel zu und ruft im Weggehen: »Das Haus ist nicht Möllendorffstraße 1, sondern Frankfurter Allee 135, elfte Etage, Wohnung drei.« – » Wann ist mit dir zu rechnen?«, frage ich, aber er ist schon außer Hörweite. »Könnt ihr mal eure Klappe halten?«, quengelt Aki. »Das ist doch so ein richtiger Assi, der Alex«, sagt Liebig, »ich jedenfalls fühl mich sauwohl in der Liebigstraße. Schade, dass ich mein Harmonium zu Hause gelassen habe, ich würde doch glatt Ave Maria spielen.« Er macht sich auf dem Sofa lang und fängt an zu singen. »Spinnst du, willst du die Liebigstraßenbewohner aufwecken, die dann gleich die Polizei holen?«, frage ich. »Die sind hier nicht so, in der Liebigstraße.« – »Hoffentlich ist das jenseits der S-Bahn in Lichtenberg auch noch so.« – »Ich fürchte nicht, da wohnen nur Sachsen, und du weißt ja, gute Staatsbürger, welcher Staat auch immer«, sagt Liebig, schon im Halbschlaf.
Im Osten ist am Horizont ein heller Streifen Licht zu sehen. Als ich mich hinlege, fängt es an, auf die Plane zu tröpfeln.
5.17
Uhr Candy fährt mit dem Rad quer durch die Stadt und scheidet aus
Candy fährt die Mühsamstraße hinauf, ein leichter Anstieg. Sie tritt sehr langsam in die Pedale, der Sattel ist zu hoch. Ihr Gesicht ist nass vom Regen. Sie leckt das Wasser an ihrer Oberlippe ab, es schmeckt nach nichts. Das Fahrrad ist geklaut, und sie hat die Blumen vom Tresen einer Bar in der Gleimstraße bei sich. Weiße Gladiolen. Um diese Jahreszeit eine Rarität und bestimmt nicht billig gewesen. Das Fahrradfahren hat ihre Müdigkeit vertrieben, und auch ihr Ärger ist verflogen.
Als sie vor knapp drei Stunden mit den unablässig plappernden Sugar und Cakes zum U-Bahnhof Gesundbrunnen gelaufen war, nachdem Alex sich verabschiedet hatte, war sie plötzlich von einer Wut auf die beiden erfasst, ja, eigentlich überfallen, worden, die sie dazu veranlasste, sich mit der Begründung, sie müsse wohl im Hof ihr Handy verloren haben, zu verabschieden und noch einmal zum Tatort zurückzukehren. Die beiden hatten mitkommen wollen, aber Candy hatte das kategorisch und mit dem Befehlston einer Anführerin abgelehnt. »Schluss für heute. Lasst uns den Abschiedsgruß sprechen: >Und heh! Auf ihren Runenschilden reitend, kommen die mächtigen Süßen jetzt durchs Tor.< Jetzt du, Sugar.« – »Äh, irgendwas mit Rosenknopsen.« Candy verdrehte die Augen. »Knospen, nicht Knopsen: >Drei schöne Rosenknospen, die in diesem Garten wachsen.< Cakes, du bist dran: >Von ernstem Aussehen ... ‹« – »›..., aber dennoch reizend. ‹« – »Und weiter.« – » »Vergessen.« – »› Während Cakes auf die geschwärzten Felder weist / Enthüllt Candy den Feenstab.‹ Ihr könnt euch langsam mal den Text merken. Man sieht sich. Tschaui.«
Candy ließ Sugar und Cakes stehen und rannte bis zur Ecke Grüntaler, ohne wirklich zu wissen, was sie dort wollte. Außer
Atem dort angekommen, hielt sie sich erschöpft an einem Straßenschild fest, um durchzuatmen. Dabei fiel ihr das Fahrrad auf, dessen Kette nicht richtig verschlossen war. Sie bekam Lust auf eine kleine Stadttour. Sie kam eh zu spät nach Hause, der Ärger war
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