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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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vorprogrammiert. Wahrscheinlich hockten ihre Eltern schon hinter der Wohnungstür in Erwartung ihres einzigen Kindes, das sie mitten im Abiturstress wähnten. Das Handydisplay zeigte fünfzehn verpasste Anrufe mit dem Kürzel »Mama«. Die Mailbox ihres Handys hat Candy gestern abgestellt. Sie will nicht ständig diese besorgte Stimme hören müssen. Sie würde auch ganz sicher nicht zurückrufen. Sie stellte das Handy auf »lautlos«. Sendepause. Das Abitur schaffte sie auch ohne die Sorgenfalten ihrer Eltern auf der Stirn. Es gab Wichtigeres, über das nachzudenken sich lohnte.
    Candy nahm den Weg durch den Gleimtunnel, obwohl der über die Brunnenstraße kürzer war. Sie genoss es, allein zu sein und sich dabei langsam fortzubewegen. Es war ein gutes Rad, sogar das Licht funktionierte. Die Straßen waren nur für sie da. Ihr war nicht mulmig, als sie in die spärlich beleuchtete Höhle des Gleimtunnels fuhr. Candy hielt sich für einen furchtlosen Menschen. Sie machte seit zwei Jahren Karate.
    Die Decke des Tunnels hatte undichte Stellen, und das Regenwasser tropfte aus den Löchern, vom Hall des Raumes ins Groteske verstärkt. Candy stieg vom Fahrrad ab und hörte dem Geräusch eine Weile zu. Am Mauerpark war alles still. Sie setzte ihre Kapuze auf und schob das Fahrrad in die Dunkelheit des Parks, der eigentlich gar keiner war, nur eine vermüllte Wiese mit ein paar Büschen. Sie wischte mit ihrem Halstuch eine Bank sauber und setzte sich darauf.
    Candy musste sich eingestehen, dass es nicht funktionierte mit ihrer Mädchenbande. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie als Sugar, Cakes und Candy die Männer von Berlin verunsichern könnten. Um sich zu rächen für die Gleichgültigkeit, die den Migrantinnen entgegengebracht wurde. Candy hatte Beispiele für die Unterdrückung der jungen Kurdinnen und Türkinnen in Berlin zusammengetragen und ein Flugblatt geschrieben. Ganz groß wollte sie das
Ding aufziehen. Eine Mischung aus Ulrike Meinhof, Lisa Simpson und Scheherazade stellte sie sich vor. Und sie würde der Kopf der Bande sein. Sie würden Anschläge auf türkische Cafes und Ausländerbehörden verüben und die Schicksalsfäden von besonders widerlichen Kerlen durchschneiden. Aber alles gut durchdacht. Bisher hatten sie aber nur literweise unpasteurisierte Biomilch in die Cabrios der Kreuzberger oder Neuköllner Machos gekippt. Das war, auch wenn sie Freude an den blöden Gesichtern der Typen hatten, wenn die Milch auf die Sitze platschte und sie, die Süßen, auf ihren Rollschuhen davonflitzten, Kinderkram und zu wenig politisch. Sie hatten sich ja noch nicht einmal auf den Wortlaut eines Bekennerinnenschreibens einigen können und die Milch ohne Kommentar auf die Sitze gekippt. Außerdem drohte das Ganze am fehlenden Geld zu scheitern. Aus der Biographie Ulrike Meinhofs wusste Candy, wie anstrengend es war, Banken zu überfallen, und mit so etwas Profanem wie einem Kneipenüberfall brauchte man gar nicht erst anzufangen, das hatte sie heute gesehen. Und nun wurde auch noch Sugar verheiratet, ohne dass sie sich wenigstens ein bisschen gewehrt hätte. Sie musste die Strategie ändern. Aber wie? Und mit wem? Cakes war ja auch nicht gerade eine Leuchte. Die deutschen Frauen waren ihr alle zu satt, die schauten gar nicht hin, wenn eine verschleierte Frau einen Meter hinter ihrem Mann an ihnen vorbeilief. Sie glaubten, es ginge sie nichts an.
    Candy weiß nicht mehr genau, wie lange sie im Mauerpark gesessen hat. Der Regen wurde stärker, und als die Nässe anfing, durch die Kapuze der Jacke an ihrem Hals entlangzukriechen, stand sie auf und fuhr weiter in die Richtung, von der sie meinte, dass sie irgendwann nach Kreuzberg führt.
    Als sie kurze Zeit später an einer Bar vorbeikam, fielen ihr die weißen Gladiolen auf dem Tresen auf, und sie wollte sie augenblicklich haben. Also kehrte sie um, bockte das Fahrrad direkt am Eingang der Bar auf, stürmte in den Laden hinein, riss die Gladiolen auf dem Tresen aus der Vase, rief in das Gesicht des verdutzten und zu keiner Reaktion fähigen jungen Barmannes »Fick dich«, wich dem ausgestreckten Bein des fetten Türstehers
geschickt aus und sprang auf ihr Fahrrad, ehe der Dicke oder einer der Gäste sie hätte erreichen können.
    Die Gladiolen sind seitdem zwischen die rechte Hand und den Lenkergriff geklemmt. Sie wackeln, wenn das Rad in den Nebenstraßen über das Kopfsteinpflaster rüttelt. Beim Rechtsabbiegen hält Candy die Hand mit den Blumen heraus. Eigentlich

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