Walter Ulbricht (German Edition)
für die Frauenpolitik einer sozialistischen Partei selbst gut kannte. Zum Anderen wies er mich auf den theoretischen Leitfaden für meine neue Aufgabe hin.
Allein die Tatsache, dass er sich selber die Zeit nahm, mich in die neue Aufgabe einzuweisen, wies auf den hohen Stellenwert hin, den er persönlich der Frauenpolitik einräumte. In der Tat konnte ich in den Jahren unserer Zusammenarbeit seine Sachkunde kennen und schätzen lernen. Nicht in Gestalt kleinlichen Hineinredens. Das kam selten vor. Mehr in verständnisvoller Unterstützung meiner Anliegen zur Frauenförderung in ihrer ganzen Breite. In seiner Frau Lotte hatte er dabei keine schlechte Beraterin.
Gleich in das erste Halbjahr meiner neuen Tätigkeit fiel die Erarbeitung des Kommuniqués des Politbüros »Die Frauen – der Frieden und der Sozialismus«, veröffentlicht am 23. Dezember 1961. Kommuniqués, also Verlautbarungen der Parteiführung, waren Richtlinien für Gebiete der Gesellschaftspolitik, die von der Partei zum jeweiligen Zeitpunkt als besonders wichtig erachtet wurden. Sie besaßen keine Gesetzes- oder Verordnungskraft, aber sie waren wohl überlegte, lange diskutierte, vorausschauende Anleitungen zum Handeln. In der Regel wurden sie, weil überzeugend und vernünftig, von der Mehrheit begrüßt und unterstützt. Sie waren ein wichtiges Instrument, mit dem die SED ihrer in der Verfassung der DDR verankerten führenden Rolle gerecht wurde, und so wurden die Kommuniqués auch wahrgenommen.
Schwieriger war ihre Verwirklichung. Die erforderte sehr viel Überzeugungsarbeit, Ausdauer, Stehvermögen und realistische Ideen, um in diversen Gesetzen und Verordnungen die Anliegen der Frauen unterzubringen.
Obwohl in der Verfassung der DDR die Gleichberechtigung der Frau verankert und mit dem »Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau« vom 27. September 1950 (aufgehoben mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990) grundlegende Voraussetzungen für die Entfaltung der Fähigkeiten und Talente der Frauen geschaffen waren, erachtete Walter Ulbricht es als notwendig, dieser gesellschaftlichen Aufgabe mit einem ganz speziellen Beschluss Nachdruck zu verleihen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass solch ein Dokument viele Mütter und Väter hat, aber ich kann aus eigenem Erleben sagen, dass das Frauenkommuniqué in sehr hohem Maße die Handschrift Ulbrichts trug. Er war auch der Inspirator dieses Wegweisers für die Frauenpolitik der DDR.
Die Entwürfe gingen eine lange Zeit hin und her. Nicht nur einmal bekam ich sie mit handschriftlichen Randbemerkungen von Walter zurück. Mir war von vornherein klar, dass es eine vorrangige Aufgabe der Frauenkommission sein würde, den Forderungen des Kommuniqués Gesetzeskraft zu verleihen, was dann auch geschah. Sie alle aufzuzählen, würde Seiten füllen. Allein im Arbeitsgesetzbuch der DDR fanden viele Forderungen ihren Niederschlag.
Um die Intentionen Walter Ulbrichts in der Frauenpolitik deutlich zu machen, komme ich nicht umhin, einige Aspekte des Frauenkommuniqués näher zu beleuchten. Aus historischer Sicht ist interessant: Das Hauptanliegen des Kommuniqués, dass »die Frau beim Aufbau des Sozialismus mehr als bisher zur Geltung kommt und ihre Lebensbedingungen verbessert werden«, wurde eingebettet in die großen politischen Ziele der Nachkriegszeit: »Die Verwirklichung dieser Aufgabe erfordert vor allem, durch den Abschluss eines Friedensvertrages und die Lösung der Westberlinfrage die Reste des Kalten Krieges zu beseitigen.« 1
Dass das zweite zehn Jahre später mit Kompromissen gelang, der Friedensvertrag aber nie zustande kam, hat für die Frauen in Deutschland bis heute nachteilige Folgen. Mit voller Berechtigung stellte das Kommuniqué fest: »Dieses neue Leben der Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik ist Beispiel und Vorbild für ganz Deutschland«, und es wagte den Ausblick: »Dann werden sie (die westdeutschen Frauen – I. L.) wie die Frauen und Mädchen in der DDR gleichberechtigte Bürger, sie werden der Sorge um den morgigen Tag enthoben sein.« 2
Leider bestimmen soziale Ängste noch heute (und in Ostdeutschland wieder) den Alltag der Frauen in diesem Land.
Ulbricht hat stets den Finger in die Wunde gelegt und mochte es, Mängel und Versäumnisse offen auszusprechen (unsere überzogene Furcht vor der »Fehlerdiskussion«, die übrigens auch mit Lenins Auffassung vom Verhalten einer sozialistischen Partei neuen Typus, wenn sie an der Macht ist,
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