Walter Ulbricht (German Edition)
Punkt, wo es so nicht mehr weiterging. Die Betriebe reklamierten bald alle Erlöse für sich bzw. die Entscheidung über deren Verwendung, so dass letztlich für den Staatshaushalt nichts mehr übrigblieb. Das wäre zu regeln gewesen, aber man machte daraus ein Fiasko und lastete es Ulbricht an, der sich in seiner letzten Lebensphase befand. Das hielt ich für unfair.
Als Minister für Außenhandel der DDR warst du doch auch diesen restriktiven Maßnahmen der NATO unterworfen: Wer dienstlich in den Westen wollte, musste das in Berlin im Travel Board Office beantragen. Bis 1970.
Ja. Aber ich war wohl der erste DDR-Bürger, der das bewusst nicht mehr mitmachte. Ich fuhr einfach zur Hannover-Messe, ohne dass ich eine Genehmigung bei den Westalliierten einholte. In dieser Zeit musste man manchmal auch völlig unkonventionelle Wege gehen, um die Interessen der DDR zu vertreten. Aber du hast Recht: Man schikanierte uns, wo man konnte. Der DDR sollte überall geschadet werden.
Du kennst ja auch den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe von innen. Was war am RGW gut, was war schlecht?
Schlecht war die Existenz des Kapitalismus. Er schadete nicht nur uns, sondern allen sozialistischen Ländern. Der RGW war ein wichtige Einrichtung, um die Wirtschaft der sozialistischen Länder zu koordinieren und auch die Angriffe des Westen abzuwehren.
Der richtige Versuch, eine auf gemeinsamen politischen Interessen fußende wirtschaftliche Gemeinschaft zu entwickeln, scheiterte aber auch an den nationalen Interessen einzelner Mitgliedsstaaten. Der Westen vermochte es, mit seinem Geld den Egoismus zu forcieren, indem er bilaterale Beziehungen zu den einzelnen Staaten entwickelte und sich diese dadurch eigene Vorteile versprachen. Man wollte lieber harte, konvertierbare Währung, mit der man auf dem Weltmarkt alles kaufen konnte – ohne zu begreifen, dass man sich dadurch in Abhängigkeit begab, der man kaum mehr entkam. Innerhalb des RGW funktionierten allenfalls – und in der Gorbatschow-Zeit selbst das mit Einschränkungen – die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR. Wir jedenfalls nahmen die von uns eingegangenen Verpflichtungen immer sehr ernst. Zudem: Ohne die Rohstoffe aus der UdSSR wäre die DDR-Wirtschaft nicht lebensfähig gewesen. Mein Partner in der Sowjetunion war Außenhandelsminister Nikolai S. Patolitschew. Ein großartiger Mensch. Wir hatten ein ausgezeichnetes Verhältnis. Er sagte einmal: Unsere Verbündeten können in der Wirtschaft experimentieren wie sie möchten. Wenn es schiefgeht, sind noch immer wir zum Helfen da. Aber bei uns darf nichts passieren.
Walter Ulbricht war ein Könner bei der Koordinierung nationaler und internationaler Interessen.
Herbert Weiz
Ohne Fortschritt in Wissenschaft und Technik gibt es auch keinen gesellschaftlichen Fortschritt
Herbert Weiz, Jahrgang 1924, nach Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft am 1. Januar 1945 Einritt in die KPD. Von 1946 bis 1949 Studium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Promotion, Tätigkeit im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Thüringen. Danach, von 1951 bis 1953, Abteilungs- bzw. Werkleiter des VEB »Optima« Büromaschinenwerk Erfurt, bis 1955 Leiter der Hauptverwaltung Leichtmaschinenbau im Ministerium für Maschinenbau, bis 1962 1. Stellvertreter des Werkleiter im VEB Carl Zeiss Jena und Mitglied des Forschungsrates der DDR, anschließend bis 1967 Staatssekretär für Forschung und Technik. Fernstudium an der Technischen Hochschule Dresden und 1955 Abschluss als Ingenieur-Ökonom. Mitglied des ZK der SED von 1958 bis 1989. Seit 1963 Abgeordneter der Volkskammer, ab 1967 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates und von 1974 bis 1989 Minister für Wissenschaft und Technik.
D u bist Absolvent der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Jena. Diese Vorstudienanstalten, wie sie von 1946 bis 1949 hießen, hat Walter Ulbricht mit auf den Weg gebracht. Welche Rolle spielten sie aus deiner Sicht?
Eine ganz wesentliche bei der Brechung des sogenannten Bildungsprivilegs. Die ABF ermöglichte jungen Menschen, die aus Kreisen kamen, in denen der Zugang zu Hochschulen und Universitäten bis dahin aus finanziellen Gründen nicht denkbar schien, eine angemessene Qualifikation. Die Arbeiter-und-Bauernfakultäten bestanden bis 1963, ich war einer der rund 30.000 Absolventen. Ich habe dort nach zwei Jahren das Abitur gemacht, das war 1948, dann mit dem Studium der Wirtschaftswissenschaften begonnen. Die
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