Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
Vom Netzwerk:
traf ich Ulbricht immer bei den Rundgänge auf der Frühjahrs- und Herbstmesse in Leipzig.
    Du hast seit 1963 dem ZK als Kandidat angehört. Gibt es von damals Erinnerungen?
    Ich habe auf dem VI. Parteitag 1963 zur Diskussion gesprochen. Walter Ulbricht unterbrach mich mit der Bemerkung: »Das ist unser neuer Außenhandelsminister.« Ich war aber damals lediglich Staatssekretär. Minister war seit 1961 Julius Balkow. Das Interessante: Dieser hatte fünf Jahre zuvor auch als stellvertretender Minister begonnen. Ulbricht wollte mit seinem Zwischenruf wohl auf meine mögliche Perspektive hinweisen. Jedenfalls haben das damals die Mitarbeiter des Ministeriums so verstanden. Aber offen gesagt: Für Walter Ulbricht war in Außenhandelsfragen damals weniger der Minister und sein Stellvertreter oder Staatssekretär Ansprechpartner, sondern Ernst Lange. Dieser leitete bereits seit Jahren die Abteilung Handel und Versorgung im Zentralkomitee (später Handel, Versorgung und Außenhandel). Der hatte die größere Erfahrung. Außenhandel war zudem in den 60er Jahren wichtig, aber nicht das wichtigste Feld. Da ging es vor allem um die Störfreimachung unserer Volkswirtschaft, also um die Reduzierung der Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Westen. In der Vergangenheit war die Wirtschaft der DDR immer wieder unter Druck der BRD geraten: So hatte Ende 1960 Bonn kurzfristig das Handelsabkommen mit der DDR zum gekündigt. Solche politisch absichtsvollen Angriffen auf die wirtschaftliche Entwicklung unserer Republik mussten minimiert werden. Wir Außenhändler hatten dafür sorgen, dass wir bei verlässlicheren Partnern Waren und Rohstoffe bekamen.
    Wie hast du Ulbricht als Staats- und Parteichef wahrgenommen?
    Er war ein Souverän im positiven Sinne. Das Dilemma begann, als er alt und krank wurde. Wenn er eine feste Meinung zu einer Sache hatte, konnte man davon ausgehen, dass er sich vorher belesen und mit Fachleuten beraten hatte. Er war sehr kritisch. Schönfärberei mochte er nicht.
    Hast du Ulbricht auf Auslandsreisen begleitet? Hier habe ich ein Foto vom Staatsbesuch in Ägypten, auf dem du zu sehen bist.
    Nein, nein, ich bin auf keiner Auslandsreise Ulbrichts dabei gewesen. Jenes Bild aus Ägypten zeigt den Hinterkopf eines Mannes, den eine Zeitung in der Bildunterschrift fälschlich als meinen bezeichnete. Es handelte sich aber um Herbert Weiß, zu jener Zeit Stellvertretender Außenhandelsminister wie ich.
    Mich interessieren die Messerundgänge Walter Ulbrichts. Waren das nur Fototermine an den Ständen?
    Nein, er führte inhaltliche Gespräche. Die Rundgänge waren keine Protokollveranstaltungen, sondern in der Regel Erfahrungsaustausche, wie sowohl die Innen- als auch Außenversorgung geleitet werden müssen. An den Ständen von BRD-Firmen stellte er am häufigsten die Frage – ich habe sie noch heute im Ohr: »Was haben Sie für Konzeptionen?« Damit meinte er natürlich deren deutschlandpolitische Überlegungen. Und daran knüpften wir dann bei unseren Besuchen auf der Hannover-Messe an. Die Hannover-Messe ist ja bekanntlich 1947 als Antwort auf die Leipziger Messe in der Sowjetischen Besatzungszone gegründet und dann bewusst als Konkurrenz zur DDR-Messe entwickelt worden. Dazu warb man nicht wenige Messeleute aus Leipzig ab.
    Kannst du dich erinnern, wie Ulbricht zu Willy Brandt stand?
    Positiv und aufgeschlossen. Er sah in ihm einen Sozialdemokraten, der Widerstand gegen Hitler geleistet hatte. Dass er Regierungschef in Bonn wurde, nahm er als etwas Neues in der Entwicklung der Bundesrepublik. Ulbricht hielt ihn für einen wichtigen Faktor bei der von ihm angestrebten Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD, als die Frage nach Herstellung der deutschen Einheit oder einer Konföderation nicht mehr stand.
    Ich komme zu meinem Ausgangspunkt zurück: Du bis innerhalb weniger Jahre vom Bahnhofsarbeiter über den Hochschulabsolventen zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR aufgestiegen. Wie war das möglich?
    Natürlich hing das ursächlich mit den Bedingungen in der DDR zusammen, dass man – es war ja keine Phrase – der Jugend Vertrauen schenkte und ihr große Aufgaben übertrug. Fördern und fordern war Praxis. Speziell bei mir war es so, dass ich als 39-jähriger ZK-Instrukteur 1963 ins Ministerium geschickt wurde, um im Außenhandel der DDR als Staatssekretär das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung umsetzen zu helfen. Aber irgendwann kamen wir mit dem NÖS an einem

Weitere Kostenlose Bücher