Wanderungen durch die Mark Brandenburg
selber sind hin. Viele von denen, die hier-
lands in alten Klostermauern wohnen, wissen kaum,
daß es Klostermauern sind, sicherlich nicht, daß es
Zisterzienser waren, die vor ihnen die Stätte inne-
hatten. Und hörten sie je das Wort, so wissen sie
nicht, was es meint und bedeutet. Und doch waren
es die Pioniere, die hundert und tausend andern Ko-
lonisten, die nach ihnen kamen, die Wege bahnten.
Das Gedächtnis an sie und an das Schöne, Gute,
Dauerbare, das sie geschaffen, ist geschwunden; uns
aber mag es geziemen, darauf hinzuweisen, daß
noch an vielen hundert Orten ihre Taten und Wohlta-
ten zu uns sprechen. Überall, wo in den Teltow- und
Barnim-Dörfern, in der Uckermark und im Ruppin-
schen alte Feldsteinkirchen aufragen mit kurzem
Turm und kleinen niedrigen Fenstern, überall, wo die
Ostwand einen chorartigen Ausbau, ein sauber gear-
beitetes Sakristeihäuschen, oder das Dach infolge
späteren Anbaues eine rechtwinklige Biegung, einen
Knick zeigt, überall da mögen wir sicher sein – hier waren Zisterzienser , hier haben Zisterzienser gebaut und der Kultur und dem Christentum die erste Stätte
bereitet.
1. Dies weiße Kleid der Zisterzienser war ihr be-
sonderer Stolz, und unter den zahlreichen Le-
genden2) dieses Ordens bezogen sich viele
auf die besondere Gunst, in der, bei Gott und
1638
Menschen, das »weiße Kleid« stand. Im Jah-
re 1215 starb ein Zisterziensermönch zu Cher
in Frankreich und wurde ohne sein Chorkleid
begraben. Er kam zurück, um sein Kleid zu
holen, weil der heilige Benedikt ihm nicht an-
ders den Himmel aufschließen wollte. Der Pri-
or gab es ihm, und er hatte nun Ruhe und
kam nicht wieder.
2. Unter den anderweiten Legenden des Ordens
ist mir keine schöner erschienen als die fol-
gende: Im Jahre 1167 dachte Mönch Heron in
Galizien in der Frühmette über die Worte
nach: »Tausend Jahre sind vor dir, Herr, wie
der Tag, der gestern vergangen ist.« Er fand
dies unbegreiflich und zweifelte. Als er aus
der Kirche kam, flatterte ein bunter Vogel ü-
ber ihm und sang sehr lieblich. Heron, von
der Schönheit und dem Gesang des Vogels
bezaubert, folgte ihm, wohin er flog, aus dem
Kloster in einen benachbarten Wald, der Vo-
gel hüpfte von Zweig zu Zweig und sang im-
merfort dreihundert Jahr lang. Als nun Heron
dreihundert Jahr lang weder gehungert noch
gedürstet, sondern allein von dem lieblichen
Vogelgesang gelebt hatte, flog der Zaubervo-
gel davon, und die Entzückung hörte auf. He-
ron kam nun wieder zu sich selbst und be-
sann sich, daß er soeben aus der Frühmette
gekommen sei. Er kehrte zurück zum Kloster
und klopfte an die Klosterpforte, aber da wa-
ren weder Pförtner noch Abt noch Brüder
mehr, die ihn kannten. Sie waren alle längst
1639
tot; dreihundert Jahre waren verflossen.
»Tausend Jahre sind wie ein Tag.«
Kloster Lehnin
1. Die Gründung des Klosters
Wo das Kloster aus der Mitte
Düstrer Linden sah.
Mit des Jammers stummen Blicken
Fleht sie zu dem harten Mann,
Fleht umsonst, denn loszudrücken
Legt er schon den Bogen an.
Schiller
Die erste Gründung der Zisterzienser in der Mark –
Zinna war nicht märkisch – war Kloster Lehnin. Es
liegt zwei Meilen südlich von Brandenburg, in dem
alten Landesteil, der den Namen »die Zauche« trägt.
Der Weg dahin, namentlich auf seiner zweiten Hälfte,
führt durch alte Klosterdörfer mit prächtigen Baumal-
leen und pittoresken Häuserfronten, die Landschaft
aber, die diese Dörfer umgibt, bietet wenig Besonde-
1640
res dar und setzt sich aus den üblichen Requisiten
märkischer Landschaft zusammen: weite Flächen,
Hügelzüge am Horizont, ein See, verstreute Acker-
felder, hier ein Stück Sumpfland, durch das sich Er-
lenbüsche, und dort ein Stück Sandland, durch das
sich Kiefern ziehn. Erst in unmittelbarer Nähe Leh-
nins, das jetzt ein Städtchen geworden, verschönert
sich das Bild, und wir treten in ein Terrain ein, das
einer flachen Schale gleicht in deren Mitte sich das
Kloster selber erhebt. Der Anblick ist gefällig, die
dichten Kronen einer Baumgruppe scheinen Turm
und Dach auf ihrem Zweigwerk zu tragen, während
Wiesen- und Gartenland jene Baumgruppe und ein
Höhenzug wiederum jenes Wiesen- und Gartenland
umspannt. Was jetzt Wiese und Garten ist, das war
vor 700 Jahren ein eichenbestandener Sumpf, und
inmitten dieses Sumpfes wuchs Kloster Lehnin auf,
vielleicht im Einklang mit jenem Ordensgesetz aus
der
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