Wanderungen durch die Mark Brandenburg
unter dessen
Schatten Rosenkreuz öfters seinen Gedanken nach-
gehangen. Nach 120 Jahren fiel einem Bauern ein,
diesen Baum umzuhauen und seine Wurzeln aus-
zugraben. Er kam an Steinplatten, nahm eine nach
der andern fort, und eh er sich's versah, fiel er in
eine Höhle fünfzehn Fuß tief in die Erde hinein. Kaum
hatte er sich von seinem Fall und Schrecken erholt,
so wurde er gewahr, daß diese unterirdische Gruft
erleuchtet war und ein alter, ehrwürdiger Mann vor einem Tische saß und in einem Buche las. Als er (der
Bauer) sich nun einen Schritt näherte, erhob sich der
Alte, der einen Stab in Händen hielt. Bei dem zweiten Schritt hob er seinen Stab in die Höhe, bei dem
dritten schlug er so gewaltig auf die Lampe, daß sol-
che zerbrach und erlosch. Der Bauer stürzte vor
Schreck nieder; so fand man ihn und hörte seinen
Bericht. Zugleich fand man eine Leiche, die ein Buch
in Händen hielt. Dies letztere war das Buch Rosen-
kreuzers , das alle Weisheit, die Ausbeute seines Lebens, seiner Studien, umfaßte.«
So die Erzählung von Frater Rosenkreuz und seinem
Weisheitsbuch . Dies Weisheitsbuch, auf das es ankam, gaben nun die modernen Rosenkreuzer, die wir
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gleich näher charakterisieren werden, als ihren Be-
sitz aus; es sei ihnen auf rätselhafte Weise zu Hän-
den gekommen, und um den Verdacht oder den
Vorwurf der Modernität von sich abzustreifen, nann-
ten sie sich, eben auf die vorgeblich alte Weisheit gestützt, die Rosenkreuzer alten Stils. Ihr Spruch
war: »Lux in cruce et crux in luce.« Die Welt erkann-
te sehr bald, und sie sollte es auch erkennen, daß die sich so nennenden Rosenkreuzer mit den wirklichen Rosenkreuzern alten Stils nicht das geringste gemein hatten, und mit Fug und Recht durfte
Dr. Semler, der »Vater des Rationalismus«, von Hal-
le aus schreiben: »Seit einiger Zeit haben wir von
einer jetzt fortdauernden Rosenkreuzerei so manche
wichtige Nachrichten, Nachrichten, aus denen wir
erkennen können, daß eine große Partei mit gewiß
weit aussehenden Absichten die Magie und Alchemie
nur als Maske benutzt. Ein ›Hirtenbrief‹ dieser Ro-
senkreuzer, der mir vorliegt, ist ein auffallender Be-
weis von der dreisten und entschlossenen Den-
kungsart dieser geheimen Partei, welche ganz merk-
lich es auf eine öffentliche Revolution im Sinne des Rückschritts absieht... Die Historie kann es am ge-wissesten dartun, daß diese jüngeren Rosenkreuzer ganz andere Leute sind als die alten, die kein papis-tisches Mitglied unter sich duldeten .«
Im wesentlichen hatte es der alte Rationalist hier
richtig getroffen. Ob Papismus und Jesuitismus da-
hintersteckten, war damals fraglich und ist fraglich
geblieben, aber um Reaktion , um einen Kampf gegen die Neologen und Ideologen, gegen die Aufklärer und
Freimaurer, gegen die Demokraten und Illuminaten
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handelte es sich allerdings; die alten Elemente in Staat und Kirche, ganz wie in unsern Tagen, nahmen
einen organisierten Kampf gegen den Liberalismus in
allen seinen Gestalten und Verzweigungen auf. Nur
die Organisation war verschieden, heute öffentlich in Kammer, Lehrstuhl, Presse, damals geheim in Orden und Brüderschaften. Jede Zeit hat ihre Kampfesfor-men; der Kampf bleibt derselbe.
Wie recht der alte Semler hatte, darüber gaben die trotz aller Vorsicht und Geheimtuerei nach und nach
in die Öffentlichkeit dringenden Schriften des moder-
nen Rosenkreuzertums die beste Auskunft. Umkehr,
Absolutismus, Orthodoxie – das war ihr Inhalt. Wir
geben einige Belegstellen zunächst aus der »Origi-
nal-Instruktion für die Oberen der untern Klassen«.
pag. 27:
»Der hohe Orden, der die Sache Christi mit Macht
und Eifer betreibt , weil sie seine eigene ist, hat die Größe des Menschengeschlechtes sehr am Herzen.«
pag. 30:
»Der Zirkeldirektor soll den Brüdern tiefe Ehrfurcht
gegen den Befehl Gottes einprägen, daß wir hier
glauben und dort erst schauen. Er soll ihnen auch die
gewisse und freudige Hoffnung machen, daß, bei
zunehmendem Wachstum im Orden, ihr Glaube viele
starke Stützen erhalten und sie manches ihnen jetzt
noch Unbegreifliche in den Geheimnissen unserer
allerheiligsten Religion mit mathematischer Gewiß-
heit einsehen werden.«
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pag. 88:
»Der Orden kettet den Himmel an die Erde und öff-
net den versperrten Weg zum Paradiese wiederum.
Seine höchsten Vorsteher sind, im allergenauesten
Verstande, Freunde Gottes, wahre Jünger Christi , weit über den
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