Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Rückschritt,
eine Einbuße an ideellen Gütern erkennen? Wer hat
den Mut, die Glaubenskraft des Menschen unter die
Verstandeskraft zu stellen? Glaube und wissenschaft-
liche Erkenntnis schließen einander nicht aus, und
mit höchster Geisteskraft ist höchste Glaubenskraft
durch ganze Epochen hin vereinigt gewesen. Das
Rosenkreuzertum hat dadurch keine Sünde auf sich
geladen, daß es das Gegenteil von dem wollte, was der alte Nicolai wollte.1)
Wenn wir dennoch das Auftreten des Rosenkreuzer-
tums zu beklagen und sein Erlöschen, nach kurzer
Allmacht, als ein Glück für das Land zu bezeichnen
haben, so liegt das in Nebendingen, in begleitenden
Zufälligkeiten, die, teils irrtümlicherweise, von den
Feinden aber in wohlüberlegter Absicht, in den Vor-
dergrund gestellt worden sind, um das moralische
Ansehen des Gegners zu diskreditieren. Wir meinen
hier die Geistererscheinungen , den ganzen Apparat, der von den Rosenkreuzern in Bewegung gesetzt
wurde, um einen trägen Glauben künstlich zu bele-
ben.
Wegzuleugnen sind diese trüben Dinge nicht, wie-
wohl sie höchstwahrscheinlich eine viel geringere
Rolle gespielt haben, als man gewöhnlich annimmt.
Gleichviel: man hat zu diesen Hilfsmitteln gegriffen, 2061
und wir perhorreszieren es, daß es geschehen. Es
war unwürdig, bei dem betrügerischen Schrepfer
sozusagen auf Borg zu gehen, seine im Dienst der
Lüge klug verwandten Künste in den Dienst einer
Sache zu stellen, die, für unsere Überzeugung we-
nigstens, ganz unbestritten einen idealen Kern hatte.
Es war ein Unrecht. Aber betonen wir dies Unrecht
nicht stärker als nötig. Beurteilen wir die Dinge aus
der Zeit heraus. Auch das sittliche Empfinden stellt sich in verschiedenen Jahrhunderten verschieden.
Eine Politik, wie sie der Große Kurfürst, ein frommer,
strenggläubiger Mann, gegen Polen und Schweden
übte, würde heute verabscheut werden; damals
nahm niemand Anstoß daran; man bewunderte nur
den klugen, patriotischen Fürsten – und zu allen Zei-
ten sind Wunder gemacht worden, nicht bloß von
Betrügern, sondern auch von Priestern, die an einen
ewigen, allmächtigen und wundertätigen Gott in aller Aufrichtigkeit glaubten. Wie wir schon an früherer
Stelle sagten: das kleine Mit-Eingreifen, das Mit-
Spielen ist kein Beweis für ein frivoles Sich-drüber-Stellen über die transzendentale Welt.
Der Hokuspokus bleibt ein Fleck an jener interessanten geheimen Vergesellschaftung, die durch eine
seltsame Verkettung von Umständen in die Lage
kam, Preußen auf zwölf Jahre hin zu regieren, aber
ein billiges Urteil über den moralischen Wert derjenigen, die damals an der Spitze dieses Ordens stan-
den, wird doch nur derjenige haben, der sich die
Frage nach dem »guten Glauben« der Betreffenden
vorlegt und gewissenhaft beantwortet. Daß Bi-
schofswerder diesen »guten Glauben« hatte, haben
2062
wir in dem Kapitel » Marquardt « darzulegen getrachtet; in betreff Wöllners steht uns das unverfänglichs-
te Zeugnis zur Seite, das Zeugnis seines Antagonis-
ten Nicolai selbst. Dieser schreibt über ihn: »Eine
Menge kabbalistischer und magischer Worte verdun-
kelte nach und nach seinen hellen Kopf, und seine
irregeleitete Einbildungskraft ließ ihn allenthalben Geheimnisse und Wunder sehen . Im Jahre 1778 war er bereits so weit, daß er die geheime Lehre der rosenkreuzerischen Philosophie für das einzig wahre
Wissen hielt, für ein Wissen, das bald ganz allgemein werden und alle andere Philosophie verdrängen wür-de.«
So Nicolai. Die Verurteilung der Richtung Wöllners wird hier, unbeabsichtigt, zur Anerkennung seiner
persönlichen Aufrichtigkeit . Und dies genügt uns. Wie wenig Nicolai fähig war, der Richtung gerecht zu werden, glauben wir im Vorgehenden gezeigt zu haben.
1800 starb Wöllner zu Groß Rietz, 1803 Bischofswer-
der zu Potsdam. Das Rosenkreuzertum ging mit ih-
nen zu Grabe.
1. Wie wenig der alte Nicolai, mit all seinen Me-
riten, imstande war, einer Erscheinung wie
der des Rosenkreuzerordens gerecht zu wer-
den, geht aus seinen eigenen Aufzeichnungen
am besten hervor. Er sah in allem , was da-
mals in Dichtung und Philosophie den Vor-
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hang von einer neuen Welt hinwegzuziehn
gedachte, nur Eitelkeit, Anmaßung, Phantas-
terei und Geisterschwindel und stand gegen
die ganze junge Literatur, wenigstens soweit
sie romantisch war, ebenso feindselig wie ge-
gen Wöllner und die Rosenkreuzerei. »Die
Herren Fichte,
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