Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ihn auch gemalt. Der Graf war in Karlsbad im
Frühjahr; er leidet an Gallensteinen und ist, seit ich
ihn zuletzt sah, sehr grau geworden. Auf einer Spa-
zierfahrt durch die zur Herrschaft gehörigen Ort-
schaften, Wiesen und Wälder sahen wir viel Wild; es
ist ein Paradies für Jäger. Das Baden im Meer ist
sehr bequem; ein Badekarren steht zu meiner Verfü-
gung; übrigens hat die Sturmflut auch hier große
Verwüstungen angerichtet. Gestern hat das Wetter
sich aufgeklärt; am Nachmittag fuhren wir pirschen.
Heute abend wird mich der Graf nach Kiel zurückfah-
ren lassen, von wo ich um Mitternacht über Korsör
nach Kopenhagen gehe. Du sollst, so läßt Dir der
Graf sagen, vor allem frisches Brot und ungekochte
Milch vermeiden. Was machen die Kinder? Zeichnet
Ismael? Hier ist paradiesische Ruhe, die Dir wohl
mehr zusagen würde wie mir. Ich will nun mein vier-
tes Bad nehmen; das nächste hoffentlich in Klam-
penborg.
Wie immer Dein W. G.
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Nun folgen die von Stockholm datierten Briefe in
rascher Reihenfolge, meist von Tag zu Tag.
Stockholm, 5. August 1874
In Schweden! Und es sieht just so aus wie bei uns.
Die Reise gemacht zu haben ist vor allem interessant
darin, zu beobachten, wie wenig Unterschied zwi-
schen hier und bei uns besteht. Als ich mein Zimmer
im vierten Stock nach dem Hof, Hotel Rydberg (das
erste Hotel hier), bezog, kam eine Krähe ans offene
Fenster geflogen, und obgleich ich ihr nichts zu ge-
ben hatte, blieb sie sitzen und schalt gewaltig; sie
ließ sich fast anfassen. Als ich das Zimmer verließ,
packte ich alles vom Tisch, damit nicht im »Spuklan-
de« (Dr. Arnsteins Ausdruck) etwas spukhafterweise
verschwinden könne. Schwärme von Raben waren
die einzigen Vögel, die ich von Malmö bis Stockholm
sah. Als ich, hier angekommen, den Omnibus zum
Hotel bestieg, sah ich den Baron Wahlberg, den ich
zuletzt in Damaskus getroffen hatte; er erzählte mir
in der Eile, daß er, wenn er 20 000 Taler gehabt hät-
te, den Preußen in Sidon einen schlechten Streich
gespielt haben würde; Preußen hat nämlich für die-
sen Preis die zerstörte Kathedrale in Sidon gekauft,
die er hätte kaufen können, das heißt, wenn er ge-
wußt, daß man Friedrich Barbarossa wirklich dort
hätte finden können. Nach seiner Behauptung nun
wäre er gefunden; und so kann denn Bismarck sein Barbarossa-Drama noch prächtiger und unter direkter Anlehnung in Szene setzen. Meinen Freund
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Bocklund habe ich in der Akademie getroffen; er ist
Direktor derselben geworden, ebenso Direktor des
Museums, das übrigens genug des Interessanten
bietet. – Es ist schauderhaftes Regenwetter. Da er-
scheint Stockholm nicht wie Neapel; Du weißt, man nennt es das Neapel wie Kopenhagen das Venedig
des Nordens.
Der Graf Noer ließ mich Sonntag abend sehr schnell
und bequem an den Kieler Landungsplatz fahren,
läßt Dich grüßen und Dich einladen, dort zu baden.
Es würde Dir zwar sehr gut, der Stille wegen, gefal-
len, ich habe ihm aber doch geantwortet, er solle
erst uns mit seiner Frau einmal besuchen. In seiner
Bibliothek steckt ein kleines Vermögen; er möchte
gern, daß ich auf der Rückreise wieder mit herankä-
me und Virchow mitbrächte. Ich glaube nicht, daß
dieser sich dazu bewegen lassen wird, obgleich Vir-
chows Busenfreund, Professor Goldstücker, Sanskri-
tist in London, dort war.
Die Seereise habe ich vollständig verschlafen; ich
kam um zehn Uhr an Bord, Ankunft in Malmö mor-
gens zehneinhalb Uhr. In Kiel sah ich beim Soupieren
Frau von Saldern mit ihren Kindern und einem frem-
den Herrn. Die Fahrt von Malmö bis Stockholm dau-
erte achtzehn Stunden. Gute Gesellschaft im Coupé.
Ein belgischer Gesandter, ein Däne, dann Capellini,
der Präsident des Kongresses in Bologna vor zwei
Jahren, und noch ein anderer Italiener – alles Kon-
gressisten. Der Name Virchow wirkt hier wie ein
Zaubername, selbst bei den Franzosen, die zwar –
nachdem sie mich an der Sprache nicht als einen
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verhaßten Preußen erkannt hatten – in Schreck ge-
rieten, als ich mich als einen solchen deklarierte,
nach ihrem Schrecken jedoch mich gleich nach Virchow fragten.
Die Hotels hier und in Kopenhagen sind überfüllt,
auch alle Kommissionäre in Anspruch genommen, so
daß ich wenig während meines bisherigen kurzen
Aufenthaltes im Norden sehen konnte. Wie schön
kam mir Kopenhagen vor soundso viel Jahren vor;
der Mensch aber ändert sich mit den Zeiten.
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