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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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genau zu bestimmen
    weiß, stand man früher vor diesen Dingen wie
    vor einem Rätsel und unterschied das Alter
    zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äu-
    ßerlichen Verfalls , dabei zur Architektur eine
    kaum wissenschaftlichere Stellung einneh-
    mend wie die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn
    sie die Blumen in blaue, rote und gelbe teilen.
    Dies muß man immer gegenwärtig haben. In
    jenen Zeiten absoluter baugeschichtlicher Un-
    kenntnis sind durch im übrigen grundgeschei-
    te Leute grundfalsche Dinge zu Papier ge-
    bracht worden, die nun, ausgerüstet mit der
    Autorität eines Namens, von Buch zu Buch
    unsterblich weiterwandern.

    2. Schwert und Sporen hingen früher dem herr-
    schaftlichen Chore gegenüber , zu dem eine
    Treppe von außen hinaufführt. Diese beiden
    Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sa-
    ge heranwachsen zu lassen. »Da war mal ein

    2872
    Edelmann, der kümmerte sich nicht um Gott
    und Menschen. Er dacht, er sei Herr über al-
    les, und in seinem Übermut ritt er in die Kir-
    che, gleich die Treppe hinauf, die zu dem
    Chore führt. Hier aber bäumte das Pferd und
    überschlug sich, so daß beide in das Schiff
    der Kirche stürzten und Hals und Beine bra-
    chen. Zum Zeichen des und zugleich zur War-
    nung sind Degen, Schwert und Sporen dem
    Chore gegenüber aufgehängt worden.« – So
    die Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten
    hab ich ausgeführt, wie die »mythenbildende
    Kraft« des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht
    immer an solche rein äußerlich gegebenen
    Dinge anknüpft, vorausgesetzt, daß diese
    Dinge zugleich unklar und rätselvoll genug
    sind, um die Phantasie in Bewegung zu setzen
    und die freieste und selbst willkürlichste Aus-
    legung zuzulassen. Aber so willkürlich die
    Auslegung sein mag, sie schwebt nie ganz in
    der Luft und haftet immer an etwas Gegebe-
    nem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die
    sich's hier handelt, könnte man als poetische
    Mißverständnisse, noch richtiger als poetische
    Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im
    Sinne von irrtümlicher Deutung.

    2873
    Trebbin

    Und ein Haus mit Giebelspitzen
    Hat uns gastlich aufgenommen,
    Läßt uns freundlich niedersetzen
    Auf der Bank, der blanken, alten,
    Die, mitsamt dem schmalen Tische,
    Dem Jahrhundert standgehalten
    Hier in dieser Fensternische.
    G. Hesekiel

    Ein junger Jurist, ein sogenannter Gardeassessor,
    war nach Trebbin verschlagen worden. Was ihn
    hierhergeführt, ob Schuld, ob Liebe, wer sagt es?
    Wahrscheinlich war es einfach die lockende Nähe der
    Hauptstadt, ein Fehler (un crime vaut mieux qu'une
    faute), für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag
    saß er an der »Table d'hôte« des damals einen und
    einzigen Gasthauses. So vergingen Monde. Die Zeit
    schien endlos.
    Einmal, an einem stillen Sommersonntage, setzte
    man sich wieder zu Tisch. Die Fenster standen auf,
    und man hörte nichts als den Starmatz, der in sei-
    nem Käfig auf und ab sprang, und das Zusammen-
    schlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo zwei
    Trebbiner Commis sich im Billard und im Französi-
    schen übten. Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem
    Assessor gegenüber saß die Wirtin, eine blasse Dame
    von dreiunddreißig, mit Korkzieherlocken, eine jener
    Hagern und Hochaufgeschossenen, die von alter Zeit

    2874
    her das Vorrecht haben, sich »unverstanden« zu füh-
    len. Und was das Schlimmste war, auch der Assessor
    hatte das Verständnis nicht finden können. Er schob
    eben eine Gartenschnecke, die sich beim Salatneh-
    men durch Klappern auf dem Teller bemerkbar ge-
    macht hatte, leise-verlegen auf den Tellerrand, sah
    sich um und stellte zu besserer Cachierung (und viel-
    leicht auch eine Vorahnung im Gemüte) die große
    Wasserkaraffe zwischen sich und die Wirtin. Aber
    was er vermeiden wollte, beschwor er nur herauf:
    die Wasserkaraffe begann als Vergrößerungsglas zu
    wirken, und die Schnecke nahm wahre Riesendimen-
    sionen an. Es war »Absicht«, der Affront erwiesen.
    So wenigstens schien es. Alle dreiunddreißig Locken
    (sie gingen mit der Alterszahl) begannen zu zittern,
    und über den Tisch hin klang es in einem hohen und
    allerhöchsten Tone: »Herr Assessor, wenn es Ihnen
    bei mir nicht schmeckt, so muß ich Sie bitten, an-
    derswo zu essen.«
    Man muß an Ort und Stelle gewesen sein, um die
    ganze Tragweite dieses »anderswo« zu begreifen.
    Dieser kleine Hergang ist mir immer als Signatur von
    Alt-Trebbin erschienen. Aber auch heute noch erin-
    nert der Ort an jene Wirtin und ihre Rache,

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