Wanderungen durch die Mark Brandenburg
genau zu bestimmen
weiß, stand man früher vor diesen Dingen wie
vor einem Rätsel und unterschied das Alter
zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äu-
ßerlichen Verfalls , dabei zur Architektur eine
kaum wissenschaftlichere Stellung einneh-
mend wie die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn
sie die Blumen in blaue, rote und gelbe teilen.
Dies muß man immer gegenwärtig haben. In
jenen Zeiten absoluter baugeschichtlicher Un-
kenntnis sind durch im übrigen grundgeschei-
te Leute grundfalsche Dinge zu Papier ge-
bracht worden, die nun, ausgerüstet mit der
Autorität eines Namens, von Buch zu Buch
unsterblich weiterwandern.
2. Schwert und Sporen hingen früher dem herr-
schaftlichen Chore gegenüber , zu dem eine
Treppe von außen hinaufführt. Diese beiden
Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sa-
ge heranwachsen zu lassen. »Da war mal ein
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Edelmann, der kümmerte sich nicht um Gott
und Menschen. Er dacht, er sei Herr über al-
les, und in seinem Übermut ritt er in die Kir-
che, gleich die Treppe hinauf, die zu dem
Chore führt. Hier aber bäumte das Pferd und
überschlug sich, so daß beide in das Schiff
der Kirche stürzten und Hals und Beine bra-
chen. Zum Zeichen des und zugleich zur War-
nung sind Degen, Schwert und Sporen dem
Chore gegenüber aufgehängt worden.« – So
die Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten
hab ich ausgeführt, wie die »mythenbildende
Kraft« des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht
immer an solche rein äußerlich gegebenen
Dinge anknüpft, vorausgesetzt, daß diese
Dinge zugleich unklar und rätselvoll genug
sind, um die Phantasie in Bewegung zu setzen
und die freieste und selbst willkürlichste Aus-
legung zuzulassen. Aber so willkürlich die
Auslegung sein mag, sie schwebt nie ganz in
der Luft und haftet immer an etwas Gegebe-
nem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die
sich's hier handelt, könnte man als poetische
Mißverständnisse, noch richtiger als poetische
Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im
Sinne von irrtümlicher Deutung.
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Trebbin
Und ein Haus mit Giebelspitzen
Hat uns gastlich aufgenommen,
Läßt uns freundlich niedersetzen
Auf der Bank, der blanken, alten,
Die, mitsamt dem schmalen Tische,
Dem Jahrhundert standgehalten
Hier in dieser Fensternische.
G. Hesekiel
Ein junger Jurist, ein sogenannter Gardeassessor,
war nach Trebbin verschlagen worden. Was ihn
hierhergeführt, ob Schuld, ob Liebe, wer sagt es?
Wahrscheinlich war es einfach die lockende Nähe der
Hauptstadt, ein Fehler (un crime vaut mieux qu'une
faute), für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag
saß er an der »Table d'hôte« des damals einen und
einzigen Gasthauses. So vergingen Monde. Die Zeit
schien endlos.
Einmal, an einem stillen Sommersonntage, setzte
man sich wieder zu Tisch. Die Fenster standen auf,
und man hörte nichts als den Starmatz, der in sei-
nem Käfig auf und ab sprang, und das Zusammen-
schlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo zwei
Trebbiner Commis sich im Billard und im Französi-
schen übten. Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem
Assessor gegenüber saß die Wirtin, eine blasse Dame
von dreiunddreißig, mit Korkzieherlocken, eine jener
Hagern und Hochaufgeschossenen, die von alter Zeit
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her das Vorrecht haben, sich »unverstanden« zu füh-
len. Und was das Schlimmste war, auch der Assessor
hatte das Verständnis nicht finden können. Er schob
eben eine Gartenschnecke, die sich beim Salatneh-
men durch Klappern auf dem Teller bemerkbar ge-
macht hatte, leise-verlegen auf den Tellerrand, sah
sich um und stellte zu besserer Cachierung (und viel-
leicht auch eine Vorahnung im Gemüte) die große
Wasserkaraffe zwischen sich und die Wirtin. Aber
was er vermeiden wollte, beschwor er nur herauf:
die Wasserkaraffe begann als Vergrößerungsglas zu
wirken, und die Schnecke nahm wahre Riesendimen-
sionen an. Es war »Absicht«, der Affront erwiesen.
So wenigstens schien es. Alle dreiunddreißig Locken
(sie gingen mit der Alterszahl) begannen zu zittern,
und über den Tisch hin klang es in einem hohen und
allerhöchsten Tone: »Herr Assessor, wenn es Ihnen
bei mir nicht schmeckt, so muß ich Sie bitten, an-
derswo zu essen.«
Man muß an Ort und Stelle gewesen sein, um die
ganze Tragweite dieses »anderswo« zu begreifen.
Dieser kleine Hergang ist mir immer als Signatur von
Alt-Trebbin erschienen. Aber auch heute noch erin-
nert der Ort an jene Wirtin und ihre Rache,
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