War da noch was - Roman
bestanden hatte. Und da er nur selten auf etwas bestand, hatte Laura nachgegeben. Aber wie sie so dastand und sich die Augen wischte und die Nase schnäuzte, wusste ich, dass es für sie der größte und schwerste Beweis ihrer Liebe zu Hugh war. Und ich nehme an, dass er das ebenfalls wusste.
»Charlie geht es prima, das hast du doch selbst gesagt«, tröstete ich sie und nahm sie in den Arm. »Der amüsiert sich prächtig. Tobt mit seinen Zimmergenossen herum und mit den ganzen Sportteams – der genießt jede Minute.«
»Das sagen Internatsmütter immer«, meinte sie traurig. »Damit ihnen keiner vorwerfen kann, sie wären herzlose Hexen. Wenn ich dir erzählen würde, dass mein Kleiner es hasst, von zu Hause weg zu sein, und am Telefon weint, dann würdest du doch sagen, was zum Teufel machst du denn auch mit ihm, oder?«
»Vermutlich schon.«
»Und wenn ich dann sagen würde, dass alle männlichen Mitglieder in Hughs Familie schon seit dem Mittelalter im Alter von acht Jahren ins Internat geschickt wurden und dass ich keine andere Wahl hatte, dann wäre ich keine Hexe, sondern bloß ein erbärmlicher Fußabtreter. «
Ich seufzte.
»Egal«, schniefte sie, »jedenfalls fahre ich vielleicht am Sonntag rüber und hole ihn einfach her. Dann sage ich denen, dass ich meinen Jungen an diesem Tag hier brauche, und fertig.« Sie stopfte sich das Taschentuch in den Ärmel und schniefte gewaltig. »Wo wir schon von Jungs sprechen, du hast sie anscheinend nicht beide mitgebracht, oder?«
»Wen?«
»Na Seffy und Ivan. Ich hatte dir eine E-Mail geschickt, weil du ja nie ans Telefon gehst. Ich dachte, du könntest ihn ja dieses Wochenende mal mit herbringen.«
»Oh!«
Noch vor ein paar Wochen wäre ich begeistert gewesen. Gerührt, dass sie ihn ernst nahm, erfreut, dass ich ihn einladen konnte. Aber … wäre er mitgekommen? Um meiner Familie vorgestellt zu werden? Insgeheim kannte ich die Antwort. Konnte den amüsierten Glanz in seinen grauen Augen vor mir sehen. »Was? Ich soll deinen Eltern vorgestellt werden? Ich dachte, wir hätten gesagt, dass wir das nicht wollen.«
»Äh, nein«, gab ich ihr nun zur Antwort und machte mich daran, mein Gepäck nach oben zu schaffen. »Aber trotzdem danke. Er hat dieses Wochenende zu tun.«
Wir hatten das schon vor Monaten gesagt, gleich nachdem Ivan und ich uns kennengelernt hatten. Schon beim ersten gemeinsamen Frühstück hatten wir ein paar grundlegende Regeln festgelegt. Ich hatte keine Lust, seine hübsche junge Mutter in der Konditorei in Soho kennenzulernen, die meiner Vorstellung nach so etwa in meinem Alter sein musste, und er wollte nicht meine alten Herrschaften in ihrem schicken Haus in Primrose Hill treffen. In dieser Beziehung wollten wir unbeschwerten Spaß und Sex haben, ohne weitere Bindungen, und wir
hatten diesen Deal gleich mit einer weiteren wilden Runde im Bett besiegelt.
Jetzt wollte ich ihn gar nicht mehr so gerne mitbringen. In den letzten Tagen war ich sogar noch einen Schritt weitergegangen: Ich beantwortete keine Anrufe mehr, zu Hause lief nur noch der Anrufbeantworter, das Handy war aus, und im Laden ging ich nur dann ans Telefon, wenn ich sehen konnte, wer anrief. Ein paar Kunden hatten überrascht bemerkt: »Ich hab’s auch auf Ihrem Handy probiert«, aber uns entging deswegen kein einziger Auftrag. Das Leben ging seinen ganz normalen Gang. Die Welt fuhr, wie ich feststellte, fort, sich um ihre Achse zu drehen. Keiner starb. Aber ich hoffte, dass der erwünschte Effekt eintrat, und sich das, was Ivan für mich empfand, was ja, wie ich wusste, vor allem sexueller Natur war, verflüchtigen würde. Ich hoffte, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl verstand. So, dass, wenn ich es ihm schließlich direkt sagte – was ich natürlich tun würde, ich kannte ja die Regeln – die Tatsache eigentlich längst vollzogen war.
Er hatte einmal bei mir zu Hause auf dem Festnetz angerufen und eine flüchtige Nachricht hinterlassen. Ebenso im Laden, mit einer ähnlichen Nachricht. Aber er hatte mich nicht gerade bestürmt. Und ich muss zugeben, ein wenig mehr hätte ich schon erwartet. Dennoch zitterten meine Hände leicht, als ich nun auf der Bettkante in Lauras Gästezimmer saß und mir schließlich erlaubte, mein Handy wieder einzuschalten. So, wie ich es mir vorgenommen hatte, wenn ich weit genug von meinem einsamen Zuhause weg war und sichergehen konnte, dass ich ihn, ein paar Stunden vor einer schicken Dinner-Party, nicht zurückrufen würde.
Ich ahnte,
Weitere Kostenlose Bücher