War da noch was - Roman
darum ging, wann er ihn abholen würde – der coole SMS-schreibende
Grandpa – und am Schluss: »Alles Liebe, mein Junge, und Kopf hoch.« Das trieb mir die Tränen in die Augen. Sonst gab es nichts mehr.
Ich ließ das Handy sinken. Atmete wieder. Warf es eilig aufs Sofa zurück. Ich kam mir vor wie eine Verräterin. Rasch ging ich in die Küche, die Hände in die Achselhöhlen gesteckt, so als müsste ich die Körperteile schützen, mit denen ich das Handy berührt hatte – als hätte ich mich daran verbrannt.
Natürlich konnte er alle Nachrichten von ihr gelöscht haben, dachte ich später fieberhaft, als ich nach meinem einsamen Schinken mit Ei die Pfanne abspülte. Seffy war nicht aufgetaucht, obwohl ich absichtlich alle Türen geöffnet hatte, um den Schinkenduft nach oben ziehen zu lassen. Könnte sein, dass er sie aus dem Speicher gelöscht hatte, aber eigentlich wäre es doch wahrscheinlicher, dass er Will und Dad gelöscht und einen netten Gruß von einem Mädchen behalten hätte, oder? Ein Mädchen, das, wie ich mich selbst beruhigte, während ich mir die Hände abtrocknete, fest in ihrem reinen Mädchen-Internat eingeschlossen war. Ebenso wie Seffy nach dem kommenden Wochenende auch wieder in seiner Schule eingeschlossen sein würde. Genau.
Ich warf einen Blick auf die Uhr, die allzu laut vor sich hin tickte in dieser leeren Küche, welche urplötzlich ein altmodisches Oma-Gefühl vermittelte: das Spültuch, das ordentlich gefaltet über dem Wasserhahn hing, der einzelne Teller samt Messer und Gabel, der auf der Abtropffläche zum Trocknen stand, weil es sich nicht lohnte, dafür den Geschirrspüler zu bemühen. Normalerweise machte mir das gar nichts aus, weil ich immer wusste, dass Seffy zurückkommen würde. Dass wir bald wieder zu zweit oder auch mit seinen Freunden hier sein würden. Aber an
diesem Abend schaute ich hinauf zu seinem ungewöhnlich stillen Zimmer, an diesem Abend kroch etwas Kaltes über meine Seele, und ich hatte wieder dieses schreckliche Gefühl, das ich bereits in dem Hotelzimmer in Frankreich gehabt hatte. Das Gefühl, allein zu sein.
Es war erst zehn Uhr, und normalerweise hätte ich jetzt Nachrichten geschaut und wäre dann zu Bett gegangen; aber es war ein Unterschied, sie allein zu sehen, weil dein Sohn im Internat ist, oder sie allein zu sehen, weil er zu Hause ist, aber nicht mit dir zusammen sein will. Was, wie mir mit einem scharfen Atemzug klar wurde, der Realität entsprach. Ich empfand es wie einen körperlichen Schmerz und musste mich hinsetzen und mich vornüberbeugen. Den Kopf gesenkt und die Hände wie zum Gebet gefaltet, aber mit weit aufgerissenen Augen, die ins Leere starrten.
Nach einer Weile setzte ich mich wieder gerade hin. Atmete tief ein, um mich zu beruhigen. Dann schaltete ich das Licht aus und ging ins Bett.
Der Freitagabend konnte für uns alle beide gar nicht schnell genug kommen. Wir waren zu dem Jagd-Wochenende bei Laura und Hugh eingeladen, und wieder einmal würde ich den Laden in Christians verlässliche Hände übergeben. Wieder einmal fragte ich mich, was Maggie und ich nur tun würden, falls seine Arthritis ihn wirklich irgendwann arbeitsunfähig machte und wir jemand anderen finden mussten, der für uns die Stellung hielt. Wer? Wen konnten wir in letzter Minute anrufen und fragen: Könntest du dieses Wochenende übernehmen, dann einen Monat lang nichts, aber vielleicht wieder drei Tage im November? Ach ja, und dann noch ein paar Wochenenden? Und wer sonst wäre so erfreut und stolz deswegen,
wie Christian es jetzt war, als Seffy und ich auf dem Weg zu Laura bei ihm zu Hause in der Munster Road vorbeifuhren, um ihm die Schlüssel zu bringen?
»Und du brauchst wirklich nicht um Punkt halb zehn aufzumachen, Christian. Wir wissen doch alle, dass in London keiner vor Mittag Antiquitäten kauft.«
»Wir wissen malheureusement alle, dass keiner über’aupt noch Antiquitäten kauft in London. Viel zu viel von diesem ganzen Ikea-Mist. Aber ich öffne normale . Pünktlich, wie immer. Ça va, mein Junge?« Das zusammen mit einem strahlenden Lächeln für Seffy, der ausgestiegen und zu mir auf die Stufen vor der Tür gekommen war.
» Ça va , Christian«, grinste Seffy, der sofort in einer buchstäblich atemberaubenden, rippenquetschenden Umarmung landete, wegen der wir normalerweise ein belustigtes Lächeln tauschten. Heute nicht, wie ich registrierte.
»Komm bald zu mir, und dann rücken wir dieser Französisch-Prüfung zu Leibe, ja?
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