War da noch was - Roman
sich das Ego aber dennoch seinen Weg suchte. Still und leise. Am folgenden Morgen dachte ich noch immer an Kit, doch meine eigenen Probleme standen wieder drohend über mir. Auch die Zeitungen hatten sich neu orientiert. Der Balkankrieg war immer noch – gerade noch – auf der Titelseite, rechts unten, zwei Spalten, aber ein junger Mann von vierunddreißig Jahren war zum Außenminister ernannt worden. Die Mail hatte es als Aufmacher. Mein Herz klopfte, als ich die Zeitung von der Türmatte aufhob. Ein großes Farbfoto von ihm und seiner Frau, sie hochschwanger in einem schwarz-weißen Kleid, ein Traumpaar. Man musste schon sehr genau hinsehen, um die Anspannung um ihre Augen zu entdecken.
Ich schaltete den Anrufbeantworter ein. Dominic rief etwa eine Stunde später an, und mein gesamter Körper erzitterte beim Klang seiner Stimme, aber ich blieb standhaft und ging nicht ran. Ich wusste, dass ich das nicht durfte. Aber ich war froh, dass er angerufen hatte, und spielte das Band immer und immer wieder ab: »Hattie, ich bin’s, ich mache mir Sorgen um dich. Rufst du mich an?«
Laura war am frühen Morgen zu einem Shooting in Paris geflogen. Die Wohnung war voller Blumen von Hughie zu ihrem Geburtstag, weiße Rosen überall. Ich saß dazwischen und presste die Hände zusammen. Gegen Mittag rief Dominic noch einmal an. Ich wäre wieder nicht rangegangen. Aber ich war sowieso nicht da, weil ich losgegangen war, um einen Standard zu kaufen. Hier zeigte die Titelseite Prinzessin Diana, aber innen war ein Porträt über den jungen Mann, der zukünftig »Unser Mann im Ausland« sein und dem Außenministerium vorstehen sollte. Mehr Fotos von ihm, eines als Schüler in Harrow, eines als Student in Cambridge und eines, auf dem er lächelnd an einem Holztor lehnte, aufgenommen vor seinem Haus in Thame. Diesmal ohne Letty. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Am folgenden Tag erschien in der Times – ich kaufte alle Zeitungen – ein ernsthafter Artikel über Dominic als jungen aufstrebenden Politiker und möglicherweise nächsten Premierminister. Ich las den Artikel drei Mal, schnitt ihn aus und legte ihn mit den anderen in eine Schublade.
Komisch, wie das Bewusstsein funktionierte: Ich war mir nun selbst überlassen, saß in der Wohnung und ging von Zeit zu Zeit ans Fenster, um meine Stirn gegen das Glas zu drücken. Dabei überlegte ich sinnloserweise, ob ich wohl meinen Job wiederhaben konnte. Ob er deswegen
angerufen hatte. Wenn Letty … wenn Letty, was, Hattie? Unten auf dem Gehweg rutschte ein Skateboarder in den Rinnstein. Mich verstehen könnte? Mir vergeben? Wie stellte ich mir dieses kleine Szenario wohl vor, hm? Oder vielleicht konnte ich irgendwo anders im Parlament arbeiten. Um wenigstens in seiner Nähe zu sein. Der Skateboarder stand auf und klopfte sich ab. Denn das Schlimmste, das, was mich schwer atmen ließ, war der Gedanke, dass ich Dominic nie wiedersehen würde. Was sicherlich der Fall wäre, wenn ich nicht mehr dort war, im Parlament. Panik stieg in mir auf. Die Idee wuchs und breitete sich aus. Ja, ich konnte in einer anderen Abteilung arbeiten. Verteidigung vielleicht. Eine Freundin von mir, Rebecca, arbeitete dort für diese nette Frau, Fiona Snell. Vielleicht konnte ich in ein paar Monaten zurückkehren? Mich neu bewerben, wenn ein wenig Gras über die Sache gewachsen war. Schließlich war ich ja schon ein wenig aufgestiegen. Das konnte ich doch nicht einfach so in den Wind schreiben, oder?
Ich verließ die Wohnung gegen Mittag, wie es inzwischen meine Gewohnheit war, weil dann die erste Ausgabe des Standard erschien. Tanja, unsere Putzfrau, blieb in der Wohnung zurück. Als ich zurückkam, zog sie gerade ihren Mantel an und machte sich bereit zum Gehen.
»Da war Mann da mit Brief«, erklärte sie mir in ihrem gebrochenen Englisch.
»Oh?« Die Welt hörte auf, sich zu drehen. Schwankte. »Wer?«
»Ja, groß Mann. Gesicht nett. Er nicht sagen, wer.«
Mein Herz machte sich bemerkbar. »Und der Brief?«
»Ich gelegt auf Ihre Bett.«
Ich eilte den Flur entlang und warf dabei den Standard auf einen Stuhl. Ich hörte, wie Tanja die Wohnungstür
öffnete und hinter sich schloss. Wirklich, da lag ein Umschlag auf meinem Kopfkissen. Ich öffnete ihn mit zitternden Händen. Liebling, bitte komm zurück? Ich liebe nur dich? Wir werden irgendeine Lösung finden?
Ich faltete das dicke, cremefarbene Blatt auseinander. Es war von Hal. Zwei Worte.
»Du Nutte.«
9
D er Flughafen von Split war
Weitere Kostenlose Bücher