War da noch was - Roman
man beinahe sagen. »Wie Sie möchten. «
Natürlich hatte ich die Daphne nicht weiterverkauft. Sie war bis heute bei mir und stand auf einem Konsoltisch in meinem Badezimmer. Ihr schönes Gesicht – mit leicht geschürzten Lippen und halb geschlossenen Augen – gab mir Trost in stressigen Zeiten, obwohl Seffy fand, sie sähe aus, als säße sie auf dem Klo und drückte. Und an jenem Tag in Boulogne war ich auch nicht eilends zum Brocante zurückgekehrt. Schließlich gab es am nächsten Morgen ja noch einen Markt in Legele, und es war schon lange nicht mehr vorgekommen, dass sich ein mindestens zehn Jahre jüngerer Mann für mich interessierte. Und so saßen wir und quatschten im Hinterzimmer einer verrauchten Bar, während die tief stehende Wintersonne auf die nikotingefärbten Wände schien, sich unsere Knie fast berührten und der Kaffee von einer Karaffe Wein abgelöst wurde, die sich zu einem Mittagessen ausdehnte. Die Kellner lächelten nachsichtig und wissend über eine Verführungsszene, die, wie es mir vorkam, während ich
zierlich mit meiner Tarte Tatin herumspielte und mein Gegenüber unter gesenkten Wimpern hindurch anschaute, direkt aus einem Jean-Claude-Van-Damme-Film zu stammen schien, aber in Wahrheit eher der typische Fall war, dass eine angeheiterte, nicht mehr ganz junge Frau leichte Beute für einen jungen, etwas abgehalfterten Gigolo wurde. Auf dem Weg zur Toilette, wo ich eine lange überfällige, unglaubliche Menge Wasser ließ, registrierte ich jedenfalls das eine oder andere verstohlene Lächeln bei den Einheimischen und auch bei ein paar Händlern, die ich kannte.
Nachdem ich am Waschbecken meine Zähne gesäubert hatte – merke: Wenn man als ältere Frau Rucolasalat bestellt, dann kommt das zwar total trendy und figurbewusst rüber, setzt sich aber über drei Gänge hinweg in den Zähnen fest –, zog ich meinen Lippenstift nach und schlängelte mich unsicher durch das Restaurant zurück. Während ich zwischen den Tischen hindurchsteuerte, die sich scheinbar zu einem Labyrinth formiert hatten, und versuchte, nicht an zu viele Ellbogen zu stoßen – »Sorry … huuch, sorry«, – bemerkte ich vage, dass das verstohlene Lächeln einiger Gäste inzwischen zu einem breiten Grinsen geworden war. Egal, der Mann war heiß. Zugegeben, er war eigentlich nicht so mein Typ, aber wie weit war ich in der Vergangenheit mit »meinem Typ« gekommen? Außerdem war er unkompliziert. Die meisten Männer, die ich kennenlernte, waren entweder verheiratet oder geschieden und hatten kleine Kinder, und die meisten wollten von vorneherein reinen Tisch machen, damit sie sich später nichts vorwerfen lassen mussten. Aber dieser hier wollte mir keine Babyfotos zeigen und erzählte keine Horrorgeschichten von einer frigiden Frau, mit der einfach nichts mehr los war, seitdem sie die Kinder
bekommen hatte. Kurz: Er war perfekt. Keine Ahnung, was er in mir sah. Und in der Tat sah er mich an jenem Tag zum ersten und einzigen Mal bei vollem Tageslicht. Seither hatte ich immer eine Sonnenbrille getragen, ganz gleich bei welchem Wetter – ja, selbst im Regen wie Anna Wintour. Auch Hüte mochte ich und dann natürlich komplette Dunkelheit im Schlafzimmer. Eigentlich war gar nicht klar, ob Ivan in letzter Zeit überhaupt noch so genau wusste, wer ich eigentlich war.
Er hatte ein Zimmer über dem Restaurant und meine einzige Entschuldigung ist die, dass ich mich einfach spontan zu ihm hingezogen fühlte. Und zwei Flaschen Sancerre erhöhten die Spontaneität natürlich noch. Nach einem weiteren Kaffee zogen wir uns zurück, und am folgenden Morgen wachte ich auf, nur eingehüllt von einem Laken, einem neuen Mann und einem warmen Glanz. Ich konnte es nicht erwarten, Maggie davon zu erzählen, die glücklicherweise in diesem Augenblick unseren Laden betreute.
Das alles war nun fünf Monate her und erstaunlicherweise saß er immer noch hier neben mir auf dem Sofa: groß, blond, schön und heiß. Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Ich hatte mich nicht in ihn verliebt oder etwas ähnlich Ungeschicktes und er sich auch nicht in mich. Nein, es war eine ganz einfache Beziehung, die uns beiden gut passte, aber ich war doch überrascht, dass er so lange durchhielt. Ivan hatte jede Menge hübsche Freundinnen in seinem Alter, die meisten aus der Camden Passage, wo er arbeitete, und die ich bereits kennengelernt hatte – natürlich nur hinter den getönten Gläsern meiner Sonnenbrille. Einmal war ich an einer Weinbar
Weitere Kostenlose Bücher