Warm Bodies
vielleicht.«
Sie überlegt einen Moment. »Ich weiß«, sagt sie, und ich habe ein schlechtes Gewissen, ihren kurzen Höhenflug zerstört zu haben. »Ich weiß das. Das sage ich mir selbst seit Jahren, dass es immer noch Hoffnung gibt, dass wir die Dinge irgendwie ändern können, bla Scheiß bla. Es ist nur, dass es jetzt immer schwerer fällt.«
»Ich weiß«, sage ich und versuche zu verbergen, dass die Fassade meiner Aufrichtigkeit Risse hat. »Kannst aber … nicht aufgeben.«
Ihre Stimme verdüstert sich. Sie stellt mich auf die Probe. »Warum bist du plötzlich so voller Hoffnung? Was denkst du wirklich?«
Ich sage nichts, aber mein Gesicht ist für sie so lesbar wie die Schlagzeile auf Seite eins, die Sorte Überschrift, die den Atombombenabwurf und den Untergang der Titanic und – in immer kleinerer Schrift – die ganzen Weltkriege gemeldet hat.
»Es ist nichts mehr da, nicht wahr?«, sagt sie.
Fast unmerklich schüttele ich den Kopf.
»Die ganze Welt«, sagt sie. »Glaubst du, es ist alles tot? Alles überrannt?«
»Ja.«
»Wie kannst du das wissen?«
»Ich kann nicht. Ich … fühl’s.«
Sie seufzt tief und starrt die Spielzeugflugzeuge an, die über uns baumeln. »Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Müssen es … wieder hinkriegen.«
»Was hinkriegen?«
»Weiß nicht. Alles.«
Sie stützt sich auf einen Ellenbogen. »Wovon redest du?« Sie flüstert nicht mehr. Nora bewegt sich und hört auf zu schnarchen. »Alles wieder hinkriegen?«, sagt Julie. Ihre Augen funkeln in der Dunkelheit. »Und wie genau sollen wir das anstellen? Wenn du eine große Offenbarung hast, dann lass es mich wissen, es ist nämlich nicht so, dass ich nicht die ganze Zeit darüber nachdächte. Es ist nicht so, dass ich nicht jeden Morgen und jede Nacht darüber nachgedacht hätte, seit meine Mutter weg ist. Es ist so kaputt. Alle sterben, immer und immer wieder, jedes Mal mehr und schlimmer. Was sollen wir denn nur tun? Kennst du den Grund? Für diese Seuche?«
Ich zögere. »Nein.«
»Wie können wir dann etwas dagegen tun? Ich will es wissen, R. Wie sollen wir es dann ›wieder hinkriegen‹?«
Ich starre an die Decke. Ich starre auf die Sternbilder aus Worten, die grün im weiten Weltraum leuchten. Während ich so daliege und meine Phantasie in diesen imaginären Himmel steigen lasse, verändern sich zwei der Sterne. Sie rotieren, stellen sich scharf, und ihre Konturen werden klarer. Sie werden Buchstaben.
T
R
»Tr…«, flüstere ich.
»Was?«
»Truh…«, wiederhole ich, versuche es zu sagen. Es ist ein Klang. Es ist eine Silbe. Das verschwommene Sternbild wird ein Wort.
»Was ist … das?«, frage ich und deute an die Decke.
»Was? Die Zitate?«
Ich stehe auf und zeige auf den Satzteil.
»Das.«
»Das ist eine Zeile aus ›Imagine‹. Der John-Lennon-Song.«
»Welche … Zeile?«
» It’s easy if you try .«
Eine Minute lang stehe ich da und starre wie ein kühner Sternenforscher hinauf. Dann lege ich mich hin und verschränke die Arme hinter dem Kopf, die Augen weit aufgerissen. Ich weiß keine Antwort auf ihre Fragen, aber ich kann spüren, dass es diese Antworten gibt. Schwache Punkte aus Licht in einem fernen Dunkel.
Langsame Schritte. Schlamm unter Stiefeln. Sieh nirgendwo anders hin. Sonderbare Mantras drehen in meinem Kopf Schleifen. Altes bärtiges Gemurmel aus dunklen Gassen. Wo gehst du hin, Perry? Dummes Kind. Hirnloser Junge. Wohin? Jeden Tag wird das Universum größer, dunkler, kälter. Vor einer schwarzen Tür bleibe ich stehen. Hier, in diesem Haus aus Metall, wohnt ein Mädchen. Liebe ich sie? Schwer, das noch zu sagen. Doch ist sie alles, was geblieben ist. Die letzte rote Sonne in einer sich ewig dehnenden Leere.
Ich gehe ins Haus, und sie sitzt auf der Treppe, die Arme um die Knie. Sie legt einen Finger an die Lippen. »Dad«, flüstert sie mir zu.
Ich werfe einen Blick Richtung Treppe, da oben liegt das Schlafzimmer des Generals. Aus dem Halbdunkel dringt undeutlich seine Stimme.
»Dieses Bild, Julie. Der Wasserpark, erinnerst du dich an den Wasserpark? Musste zehn Eimer für einmal Rutschen schleppen. Damals schien es das wert, nicht wahr? Ich hab so gerne dein Gesicht gesehen, wenn du aus dem Rohr geflogen kamst. Du sahst aus wie sie, selbst damals.«
Julie steht leise auf und geht zur Haustür.
»Du bist ganz sie, Julie. Du bist nicht ich, du bist sie . Wie konnte sie das tun?«
Ich öffne die Tür und ziehe mich zurück. Julie folgt mir, leise,
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