Warm Bodies
warte auf mehr. Sie sieht auf den Fernseher, der über der Bar hängt. Das fahlgrüne Licht flackert über ihr dunkles Gesicht. »Hat Julie dir jemals erzählt, wie Perry sie mit dem Waisenmädchen betrogen hat?«
Ich zögere, dann nicke ich.
»Also … das war ich.«
Mein Blick wandert Richtung Toilette, aber Nora hat offenbar nichts zu verbergen. »Ich war erst eine Woche hier«, sagt sie. »Kannte Julie noch nicht. Tatsächlich habe ich sie so kennengelernt. Ich habe mit ihrem Freund gevögelt, und sie hasste mich, und dann verging die Zeit, und jede Menge passierte, und irgendwie sind wir auf der anderen Seite als Freundinnen rausgekommen. Verrückt, oder?« Sie stülpt das Glas über ihre Zunge, um auch den letzten Tropfen zu erwischen, dann stellt sie es ab und schiebt es zur Seite. »Was ich sagen will: es ist eine Scheißwelt und Scheiße passiert, aber wir müssen ja nicht in Scheiße baden. Ich war sechzehn, R – und meine methbeduselten Eltern haben mich mitten in einem zombieverseuchten Slum sitzenlassen, weil sie mich nicht länger ernähren konnten. Ich bin jahrelang allein gewandert, bis ich Citi Stadion gefunden habe, und ich habe nicht genug Finger, um zu zählen, wie oft ich so gut wie tot war.« Sie hält die linke Hand hoch; wie eine zukünftige Braut, die ihren Diamanten zeigt, wackeltsie mit dem zur Hälfte amputierten Finger. »Was ich sagen will: Wenn du in deinem Leben so eine Last zu tragen hast, musst du anfangen, von oben zu schauen, aufs große Ganze, sonst gehst du unter.«
Ich starre in ihre Augen, doch als der Analphabet, der ich bin, gelingt es mir nicht, in ihnen zu lesen. »Was hat das … damit zu tun … dass ich Perry … getötet habe?«
»Komm schon, R«, sagt sie und tätschelt mir die Schläfe. »Du bist ein Zombie. Du hast die Seuche. Oder zumindest hattest du sie, als du Perry umgebracht hast. Vielleicht bist du jetzt anders, das hoffe ich jedenfalls, aber damals wusstest du noch nicht, dass du eine Wahl hast. Das ist kein Verbrechen, das ist kein Mord, es geht viel tiefer und ist viel unausweichlicher.« Sie klopft sich an die Stirn. »Julie und ich haben das geschnallt, okay? Es gibt ein Zen-Sprichwort, das heißt ›Kein Lob, kein Tadel, einfach so‹. Wir wollen die menschliche Verfassung nicht tadeln, wir wollen sie heilen.«
Julie kommt von der Toilette und stellt die Gläser mit einem listigen Grinsen auf dem Tresen ab. »Sogar Grapefruit kann mitunter einen kleinen Schuss vertragen.«
Nora nimmt einen Schluck, wendet sich ab und hält sich die Hand vor den Mund.
»Herr im … Himmel«, hustet sie. »Wie viel hast du reingetan?«
»Bloß eine Winzigkeit Wodka«, flüstert Julie mit mädchenhafter Unschuld. »Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von unserem Freund Archie und Undead Airlines.«
»Gut gemacht, Archie.«
Ich schüttle den Kopf. »Bitte … ich … heiße nicht …«
»Schon gut«, sagt Julie. »Kein Archie mehr. Aber worauf sollen wir diesmal anstoßen? Es ist dein Stoff, R. Du entscheidest.«
Ich halte mir das Glas unter die Nase, schnuppere und versuche, mehr als bloß Tod und Nahtod riechen zu können. Ein Hauch Zitrone sticht mir in die Nase. Leuchtende Obstgärten im sommerlichen Florida. Der Toast, der mir einfällt, ist unerträglich abgedroschen, entschlüpft mir aber dennoch. »Aufs … Leben.«
Nora unterdrückt ein Lachen. »Echt?«
Julie zuckt mit den Schultern. »Unerträglich abgedroschen, aber was soll’s.« Sie hebt ihr Glas und stößt mit mir an. »Aufs Leben, Mr. Zombie.«
» L’chaim! «, grölt Nora und leert ihr Glas.
Julie leert ihr Glas.
Ich leere mein Glas.
Der Wodka trifft meinen Schädel wie eine Ladung Schrot. Diesmal ist es kein Placebo. Der Drink ist stark, und ich spüre ihn. Ich spüre es . Wie ist das möglich?
Julie bestellt noch eine Runde Grapefruitsaft und verwandelt ihn sofort in Wodka Grapefruits. Dabei schenkt sie sehr großzügig ein. Ich rechne damit, dass die Mädchen solche Fliegengewichtler sind wie ich, weil Alkohol hier doch verboten ist, aber wahrscheinlich ist es hier üblich, bei einer Bergung in der Stadt auch beim Schnapsladen vorbeizuschauen. Sie hängen mich schon ab, als ich noch an meinem zweiten Drink nippe und mich über den Strudel von Empfindungen in meinem Körper wundere. Der Kneipenlärm lässt nach, und ich beobachte einfach Julie, den Fixpunkt meiner verschwommenen Umgebung. Sie lacht. Ein freies, unbeschwertes Lachen, das ich, glaube ich, noch nie zuvor gehört
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