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Warme Welten und Andere

Warme Welten und Andere

Titel: Warme Welten und Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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entschieden sein? Wenn ihm das noion nur nie gezeigt hätte…
    »Ich kann nicht«, flüsterte er. »Kann nicht…«
    … Und spürte plötzlich, wie die Liebe zurückkehrte, aus einer tiefsten, geheimsten Quelle in ihm aufstieg. Die Welt um ihn herum kam zurück; die, die er liebte, kamen zurück. Und er begann zu spüren, daß er es konnte. Er konnte! Eine Wildheit durchströmte ihn, brachte das Verlangen des Blutes. Was würden die Sterne wert sein, wenn er für immer mit dem Wissen leben mußte, daß er die Seinen im Stich gelassen hatte?
    Durch Dunstschleier sah er, daß eine neue Gruppe von Tieren auf die Mauer zuhielt.
    »Ich werde euch retten«, lallte er. »Der letzte Wunsch gilt dir, Melie.« Und das Verlangen war da.
    Ruhig wandte er sich um zu dem Baum, an dem das noion hing; vor Schmerz zerbiß er seine Lippen. Eine Woge von Widerstand erhob sich gegen ihn, eine fast körperliche Abstoßkraft, die ihn vom Baum wegdrängte. Einen Augenblick lang zögerte er, und dann erinnerte er sich, was das war – – der Selbstschutz des noion, der Schild, der ihn sogar vor den übermütigen Jungen der Kolonie beschützt hatte.
    »Nein, nein«, sagte er und öffnete seinen Geist weit. »Laß mich nur.«
    Der Widerstand um ihn herum erzitterte. Er zwang sich vorwärts, griff mit einer Hand nach dem Zweig des noion.
    »Laß mich nur«, wiederholte er und ließ sein Verlangen hochschlagen. Dies hier war nicht der richtige Ort. Die Meermauer. Er spürte, sie mußten auf die Mauer, näher dran.
    Die bleierne Luft wurde dünner, zerlief zu nichts. Ungeschickt zog er am Ast. Der war schon lange tot, wollte sich aber nicht brechen lassen. Der Schmerz beim Ziehen und Zerren wurde zu stark, und er griff nach seinem Messer – und merkte, wie er sich plötzlich ganz unabsichtlich umdrehte.
    Still löste das noion seine uralte Umklammerung und fiel an seine Brust. Er hatte es überhaupt erst ein-oder zweimal berührt, vorsichtig mit einem Finger seine eigenartig modrige, leblose Wärme abtastend. Jetzt, wo das ganze Wesen in seinen Armen lag, schwang sein Körper mit den Strömen, dem Feld des noion mit. Es war schwer, es in den Armen zu halten, er umschloß es mehr als daß er es hielt. Schlugen Funken aus seinen Haaren und Ellbogen? Er konnte nichts erkennen.
    So schnell, wie er nur irgend konnte, humpelte er den steinigen Weg hinab zum Ausgangspunkt der Meermauer. Das nicht enden wollende Gebell schlug auf ihn ein, der Schmerz in seinem Körper überflutete seinen Geist. Jetzt war er mitten im Rauch; Ruß und fliegende Gischt regneten auf ihn nieder.
    Als er einen Blick hinaus riskierte, sah er, daß die anrückende Armee schon viel näher war. Noch immer auf geradem Wege zur Mauer. Er zwang seine Beine zu laufen. Außerhalb der Mauer schlurften zwei Monster auf die Felder zu. Die Hauptgruppe bog nicht ab, um ihnen zu folgen. Als er begann, auf den Krippen hinauszuklettern, sah er, daß die Verteidigermehr Öl heranschleppten. Gesichter wandten sich ihm zu. Er konnte erstaunt aufgerissene Münder sehen, aber die Stimmen gingen im Lärm unter.
    Die schleimbedeckten Steine waren zum Verzweifeln glitschig. Er krabbelte und stolperte dahin, wagte nicht, eine Hand von dem Zentrum der Stille in seinen Armen zu lösen. Auf einem Schleimflecken rutschte er aus, fiel auf seine zertrümmerte Hüfte. Mit Knien und Ellbogen stieß er sich, auf der Seite liegend, weiter, spürte ein Knirschen in sich, ein Bohren von tausend Nadeln. Ein Schenkel rieb jetzt über die Steine, sein anderer Fuß stieß gegen die Krippenbalken und brachte ihn irgendwie voran. Wie die Viecher, dachte er, wie die Viecher! Aber ich mache weiter.
    Eine Welle spülte über ihn hinweg. Als er wieder sehen konnte, zog eine riesige Flanke längs der Mauer an ihm vorbei; die Krippe verrückend, auf der er lag. Er war jetzt der Mauerspitze schon ziemlich nah. Ein Junge schien von dort herauf ihn zuzukriechen. Über dem Kopf des Jungen türmten sich Spukgestalten im Rauch auf.
    Er sackte zusammen, als er auf monströse Masken starrte, dann faßte er sich. Das war nahe genug, das mußte reichen. »Noion, noion!« keuchte er. Genau vor den Flammen bäumte sich eine Kuh auf, zu sehr zwischen andere eingekeilt, als daß sie hätte abdrehen können. »Noion, hilf mir!«
    In diesem Augenblick spürte Mysha, wie sich in seinem Geist eine Verbindung auftat, er spürte ein winziges Kämpfen, Sich-Sträuben gleich dem Schatten eines Fisches an einer dünnen Schnur. Es war – ja,

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