Warnschuss: Thriller (German Edition)
Sie sagen wo, und wir kommen hin.«
Noch bevor er ausgesprochen hatte, hatte sie den Kopf
gesenkt und schüttelte ihn unnachgiebig. »Sie wollen nicht verstehen«, sagte sie so leise, dass er sie kaum verstand. »Ich kann mit niemandem sonst darüber sprechen.«
»Warum denn mit mir?«
Sie hob den Kopf wieder und sah ihn eindringlich an. Ihre Blicke verbanden sich. Ein unausgesprochenes Verständnis vereinte sie. Nicht nur die thermische Hitze brachte die Luft zum Flimmern.
Für Duncan trat alles außerhalb ihres Gesichts in den Hintergrund. Diese Augen, so unergründlich wie der Teich, in den er früher gehechtet war, allen Warnungen zum Trotz, das sei zu gefährlich. Dieser Mund. So weich, als sei er nur dazu da, Vergnügen zu verschaffen.
Plötzlich ging die Tür zum Nachbarhaus auf und schreckte sie auf. Elise huschte in den Eingang im Souterrain unter seiner Eingangstreppe, wo man sie nicht sehen konnte.
»Morgen, Duncan«, rief die Nachbarin, die gerade ihre Zeitung von der Treppe nahm. »Sie sind heute aber früh auf.«
»Ich wollte ein bisschen laufen, bevor es zu heiß wird.«
»Meine Güte, sind Sie diszipliniert. Passen Sie auf sich auf, mein Lieber. Sonst überanstrengen Sie sich noch in dieser Hitze.«
»Mache ich.«
Sie verschwand in ihrem Haus und schloss die Tür wieder. Er duckte sich unter die Treppe in die feuchte, höhlenartige Vertiefung, wo es überraschend kühl und dunkel war. Dort befand sich der Eingang zu einer Einliegerwohnung, die er vermietet hatte, nachdem er in das Stadthaus gezogen war. Der letzte Mieter war abgetaucht und ihm drei Monate Miete schuldig geblieben. Seither hatte sich Duncan nicht mehr die Mühe gemacht, die Wohnung wieder zu vermieten. Die Nebeneinnahmen fehlten ihm, dafür
hatte er die vier Geschosse des Stadthauses ganz für sich allein.
Elise stand im Schatten und hatte den Rücken gegen die Tür gepresst.
»Ich will, dass Sie von hier verschwinden«, flüsterte er wütend. »Sofort. Und ich will keine Zettelchen mehr zugesteckt bekommen. Wir sind hier nicht in der Schule. Ich weiß nicht, was Sie für ein Spiel spielen…«
»Gary Ray Trotter kam in unser Haus, um mich umzubringen.«
Duncans schwerer Atem war in dem engen Eingangsbereich deutlich zu hören. Sein Scheitel berührte beinahe den gemauerten Türsturz, in dessen rissigen Mörtelfugen Farne wurzelten. Die Nische bot kaum Platz für zwei. Er stand so dicht vor ihr, dass er ihren Rocksaum an seinen Beinen spürte und ihren Atem auf seiner Brust.
»Was?«
»Ich habe ihn in Notwehr erschossen. Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich es nicht getan hätte, hätte er mich getötet. Deshalb war er da. Er ist geschickt worden, um mich umzubringen.« Die Worte waren aus ihr herausgesprudelt und dabei übereinandergepurzelt. Als sie fertig war, verstummte sie und holte kurz, aber tief Luft.
Duncan starrte sie an, während er ihren Wortschwall so zu ordnen versuchte, dass er Sinn ergab. Aber selbst nachdem er ihn geordnet hatte, traute er seinen Ohren nicht. »Das meinen Sie nicht ernst.«
»Sehe ich aus, als würde ich Witze machen?«
»Trotter war ein Auftragskiller?«
»Ja.«
»Wer soll ihn beauftragt haben?«
»Mein Mann.«
Sein Telefon läutete, noch während er Elise ins Haus führte – oder eher schubste. Er drängte an ihr vorbei, griff nach dem Hörer und sah ihr ins Gesicht, während er sich meldete. »Ja?«
»Bist du schon wach?«, fragte DeeDee.
»Ja.«
»Du klingst, als wärst du außer Atem.«
»Komme gerade vom Joggen.«
»Ich habe mir Gedanken über das gemacht, was wir gestern Abend erfahren haben.«
Er starrte Elise immer noch konzentriert an. Sie erwiderte seinen Blick genauso intensiv.
»Duncan?«
»Ich bin noch dran.« Er zögerte kurz und sagte dann: »Hör mal, DeeDee, ich bin total durchgeschwitzt, ich schmelze gleich hier im Wohnzimmer. Lass mich kurz duschen, dann rufe ich zurück.«
»Okay, aber beeil dich.«
Noch bevor er aufgelegt hatte, begriff er, dass er gerade die nächste Fehlentscheidung gefällt hatte. Er hatte sich schon in eine gefährliche Grauzone begeben, als er DeeDee nichts von der Nachricht erzählt hatte. Jetzt hatte er ihr nicht erzählt, wer da in seinem Wohnzimmer stand und absurde Behauptungen über ein Verbrechen aufstellte, das sie aufklären sollten. In beiden Fällen hatte er gegen die Polizeivorschriften und seinen persönlichen Ehrenkodex verstoßen. Ihm war klar, dass er dafür irgendwann zur Rechenschaft gezogen
Weitere Kostenlose Bücher