Warte auf das letzte Jahr
Feindseligkeit, die von der Platte ausging, ihr toter und dennoch wilder Drang, sie zu vernichten, wurde unerträglich; Kathy erbebte.
Und ließ die Platte fallen.
Die runde Scheibe lag auf dem dicken Teppich und war offensichtlich unbeschädigt. Aber wie sollte sie sie aufheben? Wie sie vom Boden lösen? Denn die Platte hatte sich mit dem Teppich, dem Boden, den Wänden, mit dem ganzen Büro verbunden; alles war zu einer undurchdringlichen, fugenlosen Einheit verschweißt worden. Niemand konnte diesen würfelähnlichen Raum betreten oder verlassen; jede Nische war ausgefüllt – nichts konnte verändert werden, denn alles war bereits so, wie es sein sollte.
Großer Gott, dachte Kathy, als sie dastand und hinunter auf die Platte blickte, die zu ihren Füßen lag. Ich bin gefangen; ich bin erstarrt, kann nicht fort, und man wird mich so finden und wissen, daß etwas Schreckliches geschehen ist. Es ist Katalepsie!
Sie stand noch immer da, als sich die Bürotür öffnete und Jonas Ackerman eintrat; ein jovialer Ausdruck prägte sein glattes, jugendliches Antlitz, und er näherte sich ihr, entdeckte die Platte, bückte sich ungehindert, hob sie problemlos auf und legte sie in ihre ausgestreckten Hände.
»Jonas«, stieß sie mit leiser, heiserer Stimme hervor, »ich … ich brauche ärztliche Hilfe. Ich bin krank.«
»Krank? Was haben Sie?« Er blickte sie besorgt an, und in ihren Augen glich sein Gesicht einem Schlangennest. Seine Anteilnahme überwältigte sie, entfachte Übelkeit in ihr. »Mein Gott«, murmelte Jonas, »da haben Sie sich aber den richtigen Augenblick ausgesucht … Eric ist heute nicht hier, sondern in Cheyenne, und der Neue, der seine Stelle übernehmen soll, wird erst später eintreffen. Aber ich könnte Sie zur Staatsklinik in Tijuana fahren. Was haben Sie denn?« Er ergriff ihren Arm. »Liegt es daran, daß Eric fort ist?«
»Bringen Sie mich hinauf zu Virgil«, stieß sie mühsam hervor.
»Junge, Junge, Ihnen scheint es wirklich schlecht zu gehen«, bemerkte Jonas. »Kein Sorge, ich bringe Sie schon hinauf zum Alten; vielleicht weiß er, was zu tun ist.« Er führte sie zur Tür hinaus. »Geben Sie besser mir die Schallplatte; es sieht so aus, als ob Sie sie gleich wieder fallen lassen würden.«
Es konnte nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch genommen haben, Virgil Ackermans Büro zu erreichen, und dennoch kam es ihr wie eine Ewigkeit vor. Als sie schließlich Virgil gegenüberstand, war sie völlig erschöpft; sie schnappte nach Luft und war unfähig, etwas zu sagen. Es war einfach zuviel für sie gewesen.
Virgil sah sie zunächst neugierig, dann besorgt an und sagte mit seiner hohen, durchdringenden Stimme: »Kathy, ich halte es für besser, wenn Sie heute nach Hause gehen; schnappen Sie sich einen Armvoll Frauenzeitschriften und einen Drink und legen Sie sich ins Bett, damit …«
»Lassen Sie mich allein«, hörte sie sich sagen. »Jesus«, preßte sie dann hervor, wurde von Verzweiflung übermannt. »Nein, nein, lassen Sie mich bitte nicht allein, Mr. Ackerman!«
»Nun, was ist los?« fragte Virgil und musterte sie besorgt. »Ich kann zwar verstehen, daß Eric von hier fort ist, um in Cheyenne …«
»Nein«, sagte sie, »das ist es nicht. Ich … mir geht es schon wieder besser.« Der Druck hatte ein wenig nachgelassen, als ob sie Kraft aus seiner Gegenwart bezog. »Hier ist ein hübsches Stück für Ihr 35er Wash.« Sie drehte sich zu Jonas herum, nahm ihm die Platte aus der Hand und legte sie auf Virgils Schreibtisch. »Damals gehörte dieses Lied zu den populärsten Schlagern.« Ich werde nicht sterben, dachte sie; ich werde dies überwinden und wieder gesund werden. »Ich bin noch auf etwas anderes gestoßen, Mr. Ackerman.« Sie nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz, um ihre Kräfte zu schonen. »Eine Privataufnahme von Alexander Woollcott aus dem Radioprogramm The Town Crier. Bei Ihrem nächsten Besuch im 35er Wash werden sie dann Woollcotts Originalstimme hören können. Und keine Imitation, mit der Sie sich im Augenblick begnügen müssen.«
»The Town Crier!« rief Virgil in kindlicher Freude. »Mein Lieblingsprogramm!«
»Ich bin überzeugt, daß ich die Aufnahme besorgen kann«, versicherte Kathy. »Obwohl es natürlich eine Frage des Preises ist. Ich muß nach Boston fliegen, um das Geschäft perfekt zu machen; das Band befindet sich im Besitz einer ziemlich durchtriebenen alten Jungfer namens Edith B. Scruggs.«
»Kathy«, verkündete Virgil Ackerman,
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