Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
kleiner, aber auch breiter und ausladend, mit schweren Schultern und scheinbar halslos; unerschütterlich und unbeweglich wie ein Sumoringer stand er da.
»Alwyn!« überschrie Markby den Lärm. Alwyn drehte sich um und begrüßte Markby mit einer Geste.
»Hab mir schon gedacht, wir würden dich zu sehen kriegen«, sagte er freundlich, als Markby sich zu ihnen durchgedrängt hatte.
»Ma hat uns gesagt, daß du vielleicht herkommst. Hier ist Alan, wegen des toten Burschen, Dad.«
»Oh, wegen dem«, sagte Winthrop senior mit seinem dröhnenden Baß.
»Läßt Sie ganz schön rotieren, nicht wahr?«
»Ziemlich, ja«, gab Markby offen zu. Er kramte in seiner Tasche und zog das jetzt schon mit einigen Eselsohren
»verzierte« Foto heraus. Höflicherweise reicht er es zuerst dem älteren Winthrop. Winthrop senior schob seinen ungewöhnlich alten Hut auf den Hinterkopf und hakte einen Daumen in das Armloch seiner Weste, während er sich darauf vorbereitete, sein Urteil abzugeben. Eine Uhrkette, wahrscheinlich antik und aus Massivgold, spannte sich über seinem stattlichen Bauch und verschwand in einer Uhrentasche an der Weste. Dem Markt zu Ehren hatte er heute eine Krawatte umgelegt, einen zerknitterten Stoffstreifen ungewissen Alters, der sich in den Wülsten versteckte, die bei Winthrop senior Kopf und Schultern zusammenhielten. Er hielt die Fotografie auf Armeslänge von sich weg; in seiner mächtigen Pranke sah sie wie eine Briefmarke aus.
»Ah, das ist er also!« verkündete er in weisem und rätselhaftem Tonfall und fügte dann hinzu:
»Könnte nicht behaupten, daß ich den armen Teufel kenne.« Er reichte das Foto seinem Sohn und hakte den anderen Daumen in das Armloch seiner Weste. Neben seinem Vater sah Alwyn smarter aus; er trug ein relativ neues Tweedjackett, vermutlich das
»gute Stück«, das besonderen Gelegenheiten vorbehalten war; alles in allem war er gut angezogen. Er studierte das Foto einen Augenblick wortlos und sagte sachlich:
»Kommt mir irgendwie komisch vor, einen Toten zu fotografieren. Der Mann ist doch tot, oder?«
»Leider ja. Wir haben noch keine Ahnung, wer er ist.« Alwyn schüttelte den Kopf und gab Markby das Foto zurück.
»Tut mir leid, daß wir dir nicht helfen können.«
»Trotzdem vielen Dank«, sagte Markby düster und schob das Foto in die Tasche.
»Wie sind die Schafpreise?«
»Gefallen«, sagten Winthrop Vater und Sohn unisono.
»Das tut mir leid. Wollt ihr nächstes Jahr etwas anderes versuchen?«
»Haben’s mit Kartoffeln versucht, der Preis ist runtergegangen. Haben’s mit Rindern versucht. Der Preis ist runtergegangen. Schätze, wir bleiben jetzt bei den Schafen.« Winthrop senior nahm die goldene Sprungdeckeluhr mit dem teilweise durchsichtigen Deckel, die an der Uhrkette hing, aus der Westentasche und warf einen Blick darauf, ehe er sie wieder in die Tasche steckte. Alwyn machte ein bockiges Gesicht, öffnete den Mund, schloß ihn dann aber wieder, als verkneife er sich lieber, was er sagen wollte. Er drehte sich zur Seite und lehnte sich an das Metallgatter. Die Schafe standen eng aneindergedrängt vor ihm und schauten zu ihm auf, als erwarteten sie eine Ansprache von ihm. Winthrop senior wurde von einem Bekannten gerufen und ging zu ihm. Mark lehnte sich neben Alwyn an das Gatter.
»Eine Farm zu bewirtschaften ist heutzutage wohl nicht ganz leicht«, sagte er.
»Das darfst du ruhig noch einmal sagen. Und es ist noch verdammt untertrieben.« Alwyn unterbrach sich, rückte die Mütze auf dem roten Haarschopf zurecht und fügte hinzu:
»Es soll nicht schroff klingen. Der Jammer ist, daß Dad – nun, er wird älter und immer unflexibler. Sein Vater hat Greyladies vor ihm bewirtschaftet und noch weiter zurück sein Großvater … Er kann sich nicht vorstellen, daß wir woanders leben als auf der Farm. Auch dann nicht, wenn wir bankrott gehen – was sehr leicht passieren kann.« Markby mußte an das denken, was Steve Wetherall gesagt hatte, und fragte zögernd:
»Du würdest schon in Erwägung ziehen, ganz aufzuhören, oder?«
»Nicht solange Dad am Leben ist. Es würde ihn umbringen, wenn ich sagen tät, ich geh. Mutter wird auch älter. Doch er würde es versuchen, auch wenn ich gehe. Er würde versuchen weiterzumachen. Ich kann sie nicht im Stich lassen.« Das klang nach echter Verzweiflung. Markby war wieder unbehaglich zumute. Anscheinend erging es ihm mit allen Winthrops so, daß er das Gefühl hatte, ohne einen echten Grund in ihren
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