Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
die Key-Account-Managerin sofort einen Tipp parat: Sie könne die progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobson sehr empfehlen. Die Technik habe sie in zwei Kursen ihres Sportstudios ausgiebig kennengelernt, und sie habe ihr sehr geholfen, als sie einmal nächtelang nicht in den Schlaf fand. In der weiteren Diskussion zeigte sich, dass die Frau selbst zunehmend unter Verspannungen litt, oft gar nicht zur Ruhe finden konnte und immer noch mit Schlafproblemen zu kämpfen hatte. Da bei ihr Jacobson nicht mehr half, hatte sie sich aktuell dem Poweryoga verschrieben. Sie schwor auf die Körper-Geist-Übungen. All ihre Betrachtungen klangen sehr reflektiert und wirksam. Sie schien wirklich alle Schlaf- und Entspannungstipps zu kennen – und dennoch saß die Frau bei mir im Burnout-Seminar und suchte Hilfe.
Diese Erfahrung mache ich oft: Da sitzen sie vor mir und warten wieder einmal auf den ultimativen Trick zur perfekten Entspannung, der endlich nachhaltig funktioniert. Wie oft höre ich: „Ich mache nun schon autogenes Training und verpasse nicht eine Unterrichtseinheit. Die Trainerin bestätigt mir immer wieder, dass ich alles richtig mache – aber warum bin ich dann nicht entspannt?“
Von Heilung oder Lösung des Stressproblems mit den Mitteln der Wellness-Industrie kann also keine Rede sein. Das hohe Versprechen, das der Begriff „Wellness“ suggeriert, wird nicht eingelöst, stattdessen führen diese Maßnahmen ins Leere – obwohl sie ja eigentlich hochprofessionell sind. Zum Teil kombinieren die einzelnen Therapieformen sogar alte Weisheiten mit modernen Kenntnissen. Und natürlich geht es einem vielleicht ganz gut, wenn man ein Bad genommen oder ein Wellness-Wochenende verbracht hat. Keine Frage. Es ist durchaus ratsam, einmal das Telefon auszuschalten und in die Wanne zu steigen. Doch sollten die Badenden das Badewasser mit dem richtigen Erwartungshorizont einlassen und nicht glauben, die Dosis des Badezusatzes sei heilbringend nach dem Motto: „Viel hilft viel.“
Die Mittelchen, Kurse und Freizeitangebote bewegen sich zum Teil auf ausgeklügeltem medizinischen Niveau. Doch schon auf der Rückfahrt vom Wellness-Wochenende verfliegt die Entspannung. Bereits beim Verlassen des Sportstudios nach dem Poweryoga-Kurs holen der Alltag und der Stress die Menschen wieder ein. So bleiben Erholung und Ausgleich allenfalls One-Night-Stands und von einer Grundentspannung kann keine Rede sein. Das mittel- oder gar langfristige Ergebnis der ergriffenen Maßnahmen ist ernüchternd, nicht nachhaltig und enttäuschend. Für mich ist es kein Wunder, dass keine Verbesserung eintritt. Denn all die Maßnahmen der klassischen Stressprävention und -behandlung laufen meilenweit am eigentlichen Kernproblem vorbei.
Nachtschicht
Die Frau wünschte sich nur eines: Sie wollte einmal wieder tief und fest durchschlafen. Die Abteilungsleiterin eines Versandunternehmens kam auch nach einem anstrengenden 14-Stunden-Arbeitstag nicht zur Ruhe. Wenn sie abends völlig übermüdet auf dem Sofa saß und ein Glas Rotwein (oder zwei) trank, nickte sie schon einmal vor laufendem Fernseher ein. Doch in der Nacht kam sie einfach nicht zur Ruhe. Sobald sich ihr Körper nach wenigen Stunden die überlebenswichtige Portion Erholung geholt hatte, wachte sie wieder auf. Meist war es erst zwei oder drei Uhr. Die Zeit bis zum Morgengrauen verbrachte sie dann mit dem Versuch, wieder einzuschlafen. Wenn endlich der Wecker klingelte, fühlte sich die 45-Jährige noch vor dem Aufstehen erschöpft. Sogar im Urlaub litt sie unter dieser Schlaflosigkeit. Gerade weil sie einen sehr verantwortungsvollen und herausfordernden Posten bekleidete, wäre ein erholsamer Nachtschlaf so wichtig für die Frau gewesen, deren Kräfte merklich schwanden.
Tagsüber probierte sie alle möglichen Maßnahmen aus: Sie versuchte es mit Sport vor der Arbeit, mit Sport nach der Arbeit, mit Entspannungskursen und Meditationsübungen. Auch kleine chemische Helfer probierte sie aus, ließ jedoch schnell wieder die Finger davon, als sie bemerkte, dass diese ihren morgendlichen Erschöpfungszustand nur noch verstärkten. Ganz gleich, ob Aerobic oder Wellness-Einheit: Jede Nacht wachte sie nach kurzem Schlaf wieder auf, und dann drehte sich das Gedankenkarussell um Kostenpläne, Budgetabrechnungen und Deadlines. Sie ging im Kopf permanent ihre anstehenden Projekte durch. Keine noch so ausgeklügelte Ablenkung versetzte sie in die Lage, sich von den betrieblichen Herausforderungen
Weitere Kostenlose Bücher